Der letzte Agent
unter Umständen kein Wort. Verstehen Sie mich jetzt?«
»Das könnte sein«, nickte er. »Das könnte wirklich sein. Okay, wir machen es so, wie Sie vorschlagen.«
»Das finde ich aber nett von Ihnen, Kollege«, sagte Anni in meinem Rücken, und einen Augenblick lang war dieser nicht ganz leicht begreifliche Müller rot vor Verlegenheit. Dann drehte er sich zu seinen Leuten um und befahl: »Fahren Sie heim. Ich komme nach.«
Sie trollten sich, und ich richtete das Arbeitszimmer her. Schulze konnte auf der Couch liegen, ich würde die anderen um ihn herum drapieren und mich selbst so setzen, dass ich Schulzes Gesicht genau sehen konnte.
Müller kam herein. »So geht es nicht, Herr Baumeister, ich kann das nicht dulden. Ich wollte Sie nicht bloßstellen, Sie haben gut recherchiert, aber ich muss den Mann letztlich doch verhaften. Ich muss …!«
»Erst einmal müssen Sie mir zuhören. Haben Sie einen Haftbefehl?«
»Nein, brauche ich nicht. Bei Gefahr im Verzüge brauche ich den nicht.«
»Seien Sie behutsam, ja? Er ist krank, bitter krank.«
»Aber er ist ein Verräter, ein Spion. Er hat gegen unser demokratisches System ziemlich heftige Angriffe geführt, er hat uns sozusagen jahrelang in die Beine geschossen.«
»Lieber Himmel, wann lernt Ihr endlich, zu Euren Untertanen nett zu sein? Wenn jemand das Finanzamt bescheißt, ist er ein Held. Stellt jemand der Kripo ein Bein, ist er ein gefährlicher Straftäter. Setzen Sie sich, Anni macht Ihnen Kaffee. Sie kriegen den besten Platz und brauchen nicht einmal Eintritt zu bezahlen.«
»Sie sind ein … na ja, irgendetwas in der Art.« Er lächelte widerwillig.
»Anni, hol bitte den Schulze. Aber er soll langsam gehen.«
Dann wurde es sehr still. Krümel schnürte herein, sah sich um und hopste auf den Platz, den ich Schulze zugedacht hatte. Wir hörten, wie Anni auf der Treppe ›langsam, langsam‹ sagte.
Aber erst kam Clara durch die Tür. Sie hatte ein rot verheultes Gesicht und sagte kein Wort. Sie suchte sich den Sessel aus, der am weitesten von Schulzes Couch entfernt stand. Es würde ihr schwerfallen, von Schulzes Welt zu hören, in der sie gelebt hatte und von der sie in schrecklicher Naivität nicht einmal geahnt hatte, dass es sie gab.
Dann kam Schulze durch die Tür. Er war blass, aber bei unserem Anblick kam ihm ein jungenhaftes Grinsen, und das machte ihn sympathisch.
»Sie legen sich hin. Ich bin Baumeister, Journalist, das ist schon bekannt. Wer die Clara ist, wissen Sie besser. Das ist meine Tante Anni. Das ist der Herr Müller vom Bundeskriminalamt.«
Ich hatte das locker und flapsig gesagt, aber sein Gesicht nahm sofort einen harten Ausdruck an. Er sah uns der Reihe nach an und legte sich auf die Couch. Er sagte: »Ich bin noch sehr wacklig.« Dann drehte er sich auf die Seite und stützte sich auf den linken Arm.
»Ich möchte erst genau wissen, ob meine Selma leiden musste«, begann er.
Müller schüttelte energisch den Kopf. »Sie hat nichts gespürt.«
Schulze starrte gegen die Decke. »Ich verstehe das alles nicht.« Seine Stimme kam sehr leise, aber deutlich. »Also, was wollen Sie nun wissen?«
Ich sah, wie Müller den Mund aufmachte, und ich wusste, er würde hart reden. Ich stotterte dazwischen: »Mo… Mo… Moment. Ehe wir alle zusammen in Fragen ausbrechen, wollen wir eine Spielregel zur Kenntnis nehmen: Hier bin ich Hausherr, hier frage ich. Ist das okay?« Und ehe Müller widersprechen konnte, sagte ich. »Das ist fein, dass wir alle übereinstimmen. Lassen Sie es mich also so formulieren: Ich möchte, dass Sie Ihre Geschichte erzählen. Die Geschichte Ihres Lebens. Niemand, wirklich niemand wird Sie unterbrechen. Nur, wenn Sie Schmerzen haben, unterbrechen wir.«
Schulze schloss die Augen und nickte. Dann knickte der Arm, auf den er sich stützte, ab. Er legte sich auf den Rücken. Er starrte an die Decke und fragte: »Wo ist Beatrice?«
»Ihre Eltern sind auf dem Weg. Sie werden sich um das Baby kümmern«, sagte Müller sanft. Er war jetzt erstaunlich gut.
»Wie geht das nun mit mir weiter?« Er hielt die Augen geschlossen.
Dann war plötzlich ein hoher Ton im Raum. Wir zuckten alle zusammen und begriffen nicht, woher dieser Ton kam. Es war Schulze, der weinte, hoch und laut und völlig ungehemmt. Er wiegte sich in seinen Tränen hin und her, legte die Hände auf sein Gesicht. Ich sah, wie Müller die Augen schloss, und seine Wangenmuskeln arbeiteten. Clara begann wieder zu schluchzen, Anni saß mit vollkommen
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