Der letzte Agent
bitte«, sagte Müller.
»Wir brauchten nur selten Steuerung. Und wenn, dann durch …«
»Volker«, sagte Anni.
Schulze war offenkundig amüsiert. »Ja, richtig. Durch Volker. Aber Volker ist ein Deckname.
Und einen richtigen Namen gibt es nicht.«
»War der Volker ein Oibe?«, fragte ich. »Ein Offizier der Stasi im besonderen Einsatz?«
Schulze schüttelte den Kopf. »Nein, war er nicht. Er war ein unbekannter Agent. Er arbeitete nicht im Stasibereich, sondern im industriellen Sektor.«
»Wo da genau?«, fragte Müller dazwischen.
»Im Chemnitzer Bereich der Plaste- und Elastestoffe.«
»Kannten Sie ihn?«, fragte ich.
»Ja natürlich. Er kam einmal pro Sommer und einmal pro Weihnachten. Weihnachten gab es die Gratifikationen und Orden. Im Sommer gab es dann die Zielvorgaben, also unsere. Arbeiten.«
»Und wo trafen Sie sich?«
»Na ja, hier in der Eifel selbstverständlich. In unserer Bude in Mirbach.«
Es war einen Moment lang still.
»In Mirbach, direkt um die Ecke?«, fragte Clara schrill. Ihr Gesicht war totenblass.
»Aber ja, Clara-Mädchen. Direkt bei dir um die Ecke.«
»Welches Haus?«, fragte ich.
»Das letzte am linken Hang zum Lampertstal«, sagte er.
»Ein alter Bauernhof. Wir haben uns das Wohnhaus ausgebaut.«
»Wer war der offizielle Mieter?«, fragte Müller.
»Ich«, sagte er.
»Wie kamen Sie hin?«, fragte ich.
»Wir nahmen nie den Weg über die Autobahn Brühl-Euskirchen-Eifel. Wir kamen immer anders herum über die Autobahn Aachen, sozusagen von hinten.«
»Gut. Sie trafen sich also dort. Wie oft?« Müller war ganz kühl.
»Nur wenn es notwendig wurde. Insgesamt schätze ich sechs- bis achtmal im Jahr.«
»Und einmal im Sommer und einmal vor Weihnachten, zusammen mit Volker?«, fragte ich.
»So war es.«
»Wie sieht das mit zusätzlichen Verbindungsleuten aus?«, kam Müllers Stimme. »Wer waren die Helfer?«
»Niemand.« Das kam sehr schnell. »Nur wir drei und drüben Volker.«
»Aber Sie brauchten Helfer im Konzern, um an die Informationen zu kommen.«
Schulze nickte nachdenklich. »Ja, ja, das ist im Prinzip richtig. Aber sehen Sie, Vera hatte ja Kanter erobert. Im Bett meine ich. Und sie drehte es so, dass wir zusammen eine Firma machten. Die Konstruktion dieser kleinen Firma war so, dass wir den Leuten bei den Düngemitteln und Seifen und Pharmazeutika ständig die Bude einrennen durften. Denn wir hatten ja den Auftrag, ihre Produkte möglichst gut zu verpacken.«
»Also brauchte Kanter auch nicht sehr viel zu verraten?«, fragte ich.
»Nein«, stimmte er zu. »Kanter brauchte wirklich nicht viel zu liefern. Hin und wieder eine Zahl, aber das war auch alles. Kanter war ahnungslos, aber er öffnete uns den Konzern. Unsere beste Waffe war die Schnelligkeit. Wir wussten weit im Voraus, an welchen neuen Produkten die Tochterfirmen und die Konzernleitung bastelten, und wir bekamen den ganzen Hintergrund: Die Produktionsform, die Anlagen, das Produkt, die Preise. Wenn sie noch in den Versuchen steckten, hatten wir in der DDR bereits das Produkt. Falls Maschinen besondere Schwierigkeiten machten, kopierten wir auch die Maschinen oder die Konstruktionszeichnungen der Maschinen. Und außerdem«, er grinste wieder jungenhaft, »waren wir innerhalb des Konzerns eine kleine, gewinnbringende Einheit. Die mochten uns alle. Wir waren Kanters Lieblinge.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass Sie ohne Kuriere auskamen, ohne Babysitter bei schwierigen Treffen?« Müller war erstaunt.
»Aber ja«, sagte Schulze, und jetzt wirkte er naiv. »Kuriere brauchten wir nicht, weil wir unsere Erkenntnisse in Privatpost verpackten und an ehemalige Studienfreunde schickten. Die kannten uns von der Uni her unter ganz anderen Namen. Von Beginn an. Unsere echten Namen haben wir erst hier in der Bundesrepublik gebraucht. Wenn wir Maschinenteile nach drüben verschicken mussten, lieferten wir die Teile wechselweise an verschiedene Im- und Exportfirmen unseres geliebten Schalck-Golodkowski in der BRD. Damit war der Fall erledigt.«
»Sie arbeiteten also ohne Netz und doppelten Boden«, stellte Müller fest. »Haben Sie sich nicht gewundert, dass Sie nicht schlafen gelegt wurden, als Deutschland sich wiedervereinigte?«
»Haben wir anfangs. Aber dann begriffen wir, wie klasse wir sind. Nicht nur für die DDR. Sondern auch für die Japaner, Franzosen, Amerikaner, Schweizer und so weiter.« Er war regelrecht stolz, sein Gesicht glühte ein wenig.
»Glauben Sie, dass über Ihre Gruppe eine Akte
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