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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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starrem Gesicht da, und nichts an ihr bewegte sich. Es dauerte viele Minuten. Dann sackte Schulze völlig zusammen und rang nach Atem. Ich drückte ihm ein Papiertaschentuch in die Hand, und er schneuzte sich laut und ausgiebig.
    Draußen heulte ein Militärjet heran. Ich schätzte seine Höhe auf weit unter zweihundert Meter. Nachdem der Verteidigungsminister versichert hatte, diese tödlichen Hornissen würden jenseits der 300-Meter-Marke bleiben, waren die Eifler jedesmal froh, wenn sich ausnahmsweise eine von ihnen daran hielt. Diese hier jedenfalls nicht. Der Jet kreischte über das Haus hinweg. Krümel stieß die Tür auf, kam herein und fand, dass alles seine Ordnung hatte. Dann verschwand sie wieder.
    »Wir wissen nicht, was Sie berichten werden«, sagte ich so freundlich wie möglich.
    Er drehte sich vom Rücken wieder auf die Seite und lächelte matt. »Was erwarten Sie denn?«
    »Ich bin völlig offen, für alles«, meinte ich. Ich begann mich zu ärgern, weil das Gespräch so nutzlos war.
    »Ich habe gehört, dass man Leuten, die bereit sind, etwas Wichtiges zu sagen, entgegenkommt. Ich meine von seiten der Behörden.«
    »Was wollen Sie?«, fragte ich zurück. »Haftverschonung? Eine neue Existenz?«
    »Man könnte über so etwas später sprechen«, überlegte Müller. »Das kommt auf das an, was Sie wissen und zu berichten bereit sind.«
    »Ich kaufe also die Katze im Sack?«, fragte Schulze misstrauisch.
    »Reicht es denn, wenn ich vor Zeugen versichere, dass ich mich für Sie einsetzen werde?«
    Ich begriff, dass dieser Müller deutlich gefährlicher war, als ich bisher angenommen hatte. Ich sagte schnell: »Wir haben ja nicht allzuviel Zeit. Irgendein Irrer geht herum und schießt Leute ab. Er wird nicht aufhören, bevor er erwischt wird.«
    Aber er hörte mir nicht zu, er war ganz weit weg. Er murmelte: »Ich habe wirklich an den Marxismus-Leninismus geglaubt.«
    »Ich mache Ihnen keine Vorwürfe!«, sagte Müller schnell.
    »Ein Kommunist!«, sagte Clara erstickt. »Du bist also ein Kommunist?«
    »Clara-Mädchen«, sagte er ganz zärtlich.
    »Also Sie waren die Späher, die vorderste Linie, die Helden?«, fragte ich und bemühte mich um ein Lächeln.
    »Ja«, sagte er, »das kann man so formulieren. Und wir waren wirklich gut. Was ich nicht begreife, ist die Tatsache, dass wir jetzt dafür bestraft werden sollen, dass wir für den Staat DDR waren.«
    Ich erwartete eine Bemerkung von Müller, aber Müller kaute auf einem Kugelschreiber herum und machte sich eine Notiz.
    »Mir sind die ganz Unschuldigen in diesem Falle«, sagte ich.
    »Vielleicht mit Ausnahme von Herrn Müller. Er steht auf der anderen Seite des Zaunes. Aber meine Tante Anni und Clara und ich sind die Unschuldigen, die Naiven. Widmen Sie uns eine Geschichte?«
    »Eine Geschichte oder die Wahrheit?«, fragte er schnell.
    O ja, er war ein blendender Schachspieler.
    »Ich kann Ihre Position verstehen«, sagte ich. »Die ist schlecht. Aber ich finde es sinnlos, uns einen Vortrag über Ihren Glauben an den Marxismus-Leninismus zu halten. Werden wir doch konkret: Sie haben bereits zugegeben, dass Sie es waren, der mich im Windbruch zusammenschlug. Warum waren Sie eigentlich dort? Der tote Volker war doch längst abtransportiert. Und wer bitte ist dieser Volker überhaupt?«
    »Ich will erst ein paar Zusagen«, beharrte er.
    »Sie bekommen Ihre Tochter, Sie dürfen mit Ihren Eltern sprechen«, sagte Müller. »Das kann ich verantworten.«
    »Ohne Wanzen, Mikros, Video?«, fragte er.
    »Das sichere ich Ihnen zu«, sagte Müller ernst. Seine Zugeständnisse sahen grandios aus, aber bei genauem Hinsehen hatte er nicht eine einzige Zusage gegeben, die er nicht lässig auf eigene Verantwortung vertreten konnte. Er war ein sehr sanfter, liberaler Typ, der noch nach zwölf Stunden unbeirrbar in seinem Sessel hocken würde, um einem tödlich erschöpften Schulze auch den letzten Nebensatz aus der Nase zu ziehen. Müller war einfach gut.
    »In dieser aktuellen Sache, bei diesen scheußlichen Toten, kann ich aber nicht helfen«, sagte Schulze.
    »Aber Sie haben doch Ahnungen, oder?«, fragte ich dazwischen.
    »Was nutzen Ahnungen?«, fragte er dagegen.
    »Lassen Sie mich, Herr Baumeister, eine Einleitungsfrage stellen?«
    Müller war wirklich supersanft, Müller war geschmeidiger als Vaseline.
    »Na sicher«, murmelte ich.
    »Herr Schulze, etwas an dem Vorgang, in den Sie offenkundig verstrickt sind, scheint mir unerklärlich. Im Auftrag des

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