Der letzte Agent
wichtig für den Erhalt des Staates ist.«
»Also auch jemand, den man schnell opfern kann, nicht wahr?«, fragte sie hellsichtig.
»Ja. Und ich glaube, die Zeit des Opfers ist jetzt gekommen.«
»Kann man das verhindern?« fragte sie schnell.
»Sie lieben ihn noch, nicht wahr?«
»Na sicher.« Sie begann zu weinen. »Wissen Sie, ich glaube, er liebt uns auch. Und immer denke ich: Lieber Gott, lass Schluss sein mit dieser gottverdammten Arbeit für Vater Staat. Lass ihn zurückkommen! Er kann von mir aus eine Kneipe aufmachen oder Versicherungen verkaufen oder was weiß ich. Er kann alles machen, nur nicht diese scheißpolitischen Spielchen.« Sie stand auf, suchte herum, fand ein Taschentuch und schnäuzte sich geräuschvoll.
»Haben Sie ein Tagebuch geführt?«, fragte ich.
»Nur die Zeit, in der die Ehe kaputtging. Das war so 1986 bis 1988. Wir konnten nichts mehr dagegen machen. Er war so erschöpft, dass er sechs Monate lang nicht zu mir ins Bett kam. Er war kaputt. Na sicher, die anderen kannten ihn als den, der immer scharf auf hübsche Blondinen war. Aber das war seine Maske. Ich weiß noch, dass wir mal neu anfangen wollten und er sagte: ›Neuanfang ist nicht, ich bin impotent!‹ Er war es wirklich.«
»Wir müssen jetzt schnell sein«, sagte ich. »Werden Sie Zeit haben, sich über das Tagebuch zu setzen und genau aufzulisten, wo Ihr Mann wann mit wem war? Glauben Sie, dass Sie das rekonstruieren können? Schnell?«
»Wie schnell?«
»Schlafen Sie jetzt nicht mehr. Machen Sie sich literweise Tee und Kaffee, benutzen Sie die Nächte, schreiben Sie alles auf, erinnern Sie sich an Szenen, an Geheimdienstfritzen, an Verfassungsschützer. Machen Sie eine Liste. Haben Sie jemand, der sich um die Kinder kümmern könnte?«
»Da ist eine Abiturientin im Nebenhaus«, sagte sie zögernd.
»Heuern Sie sie an. Hauptberuflich. Ich bezahle. Ist das okay?«
»Und werden Sie nichts gegen ihn schreiben? Und werden Sie nicht morgen in irgendeinem Scheiß-Revolverblatt …«
»Werde ich nicht. Ich kann Ihnen schriftlich geben, dass Sie das Manuskript vorher lesen. Ich muss weg, ich habe viel zu tun.«
»Was kann ich der Kleinen anbieten?«
»Wie bitte?«
»Na ja, ich meine die Abiturientin …«
»Ach so. Bieten Sie ihr zehn Mark die Stunde rund um die Uhr, und zeitlich unbegrenzt, bis Sie fertig sind. Ich lasse Ihnen das Geld für zwanzig Stunden hier. Okay?«
»Okay. Und glauben Sie, er wird …«
»Wir schaffen es, wenn wir schnell sind. Jetzt zum Abschluss die wichtigste aller Fragen. Stellen Sie sich vor, Ihr Mann wird von den Untersuchungsbeamten entlassen. Stellen Sie sich vor, dass er genau weiß, wie gefährdet er ist. Wir wissen zwar nicht, durch wen ihm Gefahr droht, aber nehmen wir an, da läuft jemand herum, der nach ihm sucht, um ihn zu töten. Ihr Mann kann also nicht in seine Wohnung gehen, er kann auch nicht hierher kommen. Wissen Sie, wo Sie persönlich ihn in diesem Fall suchen würden?«
Sie kratzte sich an der Stirn und verzog das Gesicht. »Auf Anhieb würde ich sagen: Bei Marga. Aber das ist wahrscheinlich doch zu gewagt. Oder nein, warten Sie, Marga ist wahrscheinlich richtig.«
»Und wer bitte ist Marga?«
»Eine Puffmutter, oder sagen wir mal eine Gastwirtin. Also Marga ist eine Frau mit Haaren überall, den meisten davon auf den Zähnen. Sie sagt von sich selbst, sie sei eine ganz wilde Pflaume. Wenn die Gäste dann schockiert sind, sagt sie hämisch: ›Meine Haarfarbe heißt wilde Pflaume!‹ Sie hat mal einen Puff in Köln geführt, und sie hat genug Geld gespart, um sich eine Kneipe zu kaufen. Die liegt im Naturpark Bergisches Land. Sie fahren über Bonn, St. Augustin auf die 56 nach Much. Von Much aus geht es zur Drabenderhöhe. Dann rechts Richtung Herferath. Und an dieser Straße steht ein Schild, ein Riesenschild mit einem schwarzen Pfeil. ›Waldeslust‹ steht drauf. Dann sind Sie bei Marga. Sven hat mit Marga nie etwas gehabt, die mögen sich einfach, das sind richtige Kumpel. Ich wette, er geht dorthin. Die hat nämlich auch ein paar Zimmer für harte Jungens, die mal Urlaub machen müssen, wenn die Bullen ins Haus stehen. Natürlich weiß kein Mensch von den Zimmern, außer denen, die drin leben. Und … können Sie ein bisschen auf Sven aufpassen? Er ist doch so ein verrückter Typ.«
»Ich versuche es«, versprach ich.
Ich stand auf und ging hinaus in die Sonne. Die Kinder spielten noch immer in ihrem Sumpf und waren selig darin versunken, im Matsch und in
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