Der letzte Agent
Brutalität und Totschlag war, fragst du dich, ob du denn am Ende wissen wirst, wer welche Rolle spielte, wie die Motive aussahen, warum das alles so geschah, wer eigentlich was genau getan hat.
Auf der Heimfahrt von Meckenheim in die Eifel geriet ich in Angst, weil es mir plötzlich unmöglich erschien, die Fragen zu beantworten, die diese Geschichte aufwarf. Es war einfach festzustellen, dass das Frettchen die junge Frau Schulze erschossen hatte. Aber würde es möglich sein, jemals das Motiv herauszufinden? Wer hatte diesen gänzlich unsinnigen Auftrag erteilt? Warum war Volker wirklich erschossen worden? Warum Sahmer? Warum hatte dann Lippelt daran glauben müssen? Ausgerechnet Lippelt, der sicher nichts anderes gewesen war als ein Hausmeister und Aushilfsarbeiter, jemand, der nicht wirklich hinderlich sein konnte, jemand, der vom tatsächlichen Hintergrund der Geschichte kaum etwas wissen konnte.
In der Gegend von Ahütte streikte das Käfer-Cabrio und ließ mich mit einem eindeutig verächtlichen Geräusch im Stich. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass die Tankanzeige zwar auf halbvoll stand, aber kein Tropfen Benzin mehr im Tank war. Ich wartete, bis ein Bauer vorbeituckerte und sich bereit erklärte, mir einen kleinen Kunststoffkanister voll Sprit zu bringen.
Auf einer wilden Malve saßen zwei kleine Füchse, und ein Tagpfauenauge taumelte um sie herum. Dann kam ein Bläuling, und etwas abseits schoss ein Kohlweißling durch die Luft. Es war heiß, es war friedlich, und ich hoffte, der Bauer werde nie mehr zurückkehren.
Er kehrte zurück und wollte die fünf Liter nicht einmal bezahlt haben. Er lächelte: »Das nächste Mal erwischt es mich.«
Ich fuhr nach Hillesheim, gab den Wagen zurück und ließ mich dann von einem Taxi auf den Hof bringen.
Anni hockte auf einem Küchenstuhl neben dem Hauseingang in der Sonne und putzte Stangenbohnen. »Es gibt Bohnen, Kartoffeln und Hammelfleisch«, erklärte sie resolut, als gebe es nichts Wichtigeres auf der Welt.
»Wo ist Clara?«
»Sie liegt auf dem Sofa. Sie taugt nichts mehr, sie heult die ganze Zeit. Und selbstverständlich will sie nur von dir getröstet werden.«
»Warum bist du so bissig?«
»Weil ich finde, sie könnte sich entschließen, endlich erwachsen zu werden.«
»Das ist in manchen Fällen sehr schwer.«
»Das schon«, gab sie widerwillig zu. »Was war los? Was hast du erfahren?«
Ich erzählte es ihr.
»Das heißt, du willst diesen Sauter als Lockvogel benutzen, um abzuwarten, was passiert?«
»So in etwa.«
»Und wenn er dir entkommt, oder wenn du ihn verlierst? Und wenn er getötet wird?«
»Hör mit diesen Fragen auf, ich kann sie ohnehin nicht beantworten. Wir müssen es versuchen, wir haben gar keine andere Wahl.«
»Ich frage mich, ob es so wichtig ist, genau herauszufinden, was wirklich war. Fünf Tote reichen doch, oder?«
Ich sah sie an: »Für eine Kriminalkommissarin ist das aber eine merkwürdige Einstellung.«
»Nicht unbedingt«, murmelte sie. »Ich erinnere mich an die Jahre nach 1933. Da hatte ich zuweilen mit sehr merkwürdigen Mordfällen zu tun. Es gab Leichen, aber es gab höchst selten einen Mörder. Und wenn ein Mörder überführt war, gab es keine Leichen mehr. Verstehst du?«
»O ja, ich verstehe dich gut.« Ich ging ins Haus und stellte mich unter die Dusche.
Anni hatte auf Anhieb die schwierigste Frage des Falles angesprochen: Was geschah, wenn die Beteiligten auf der höchsten Ebene einfach schwiegen? Die Darstellung des Falles war ganz simpel: Ein höchst erfolgreicher kleiner Spionagering in der Wirtschaft wird durch das politische Wunder der Wiedervereinigung außer Kraft gesetzt. Irgendeiner aus diesem Zirkel verliert die Nerven und tötet. Das hat zur Folge, dass wiederum ein anderer Mensch ebenfalls die Nerven verliert und seinerseits tötet. War es so?
Warum, lieber Baumeister, ist es denn so wichtig herauszufinden, wer der erste Mörder war, wer der zweite, wer der dritte? Herr Baumeister, wir haben in diesem Fall jede Menge Brutalität, schreckliche Dinge, vor denen wir die Öffentlichkeit bewahren müssen. Jetzt kann wohl niemand mehr morden, weil alle Beteiligten oder fast alle getötet worden sind. Warum, lieber Baumeister, wollen Sie denn weiterwühlen? Ist das denn nicht die Befriedigung der eigenen verdeckten Aggressionen? Es reicht doch wirklich zu wissen, dass jemand mordete, den wiederum ein anderer ermordete. Baumeister, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir bestimmte
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