Der Letzte Askanier
Lenzen, Grabow, Gerswalde, Boitzenburg, Potzlow, Jagow, Brüssow, Stolpe, Greiffenberg, Arensberg, Gransee …
Dies alles behalten zu müssen, machte ihn krank. Und wenn er dann dort war: überall dieselbe Prozedur. Endlos schwadronierten die Räte mit einem Pathos, das er nur anfangs genoß. Auch die Huldigungen der Bürger und Bauern langweilten ihn mehr, als daß sie ihn erfreuten. Oft sehnte er sich danach, wieder vor der Grabeskirche in Jerusalem zu sitzen und den Rosenkranz zu beten. Oder aber in einer Erdhöhle zu liegen und den Spinnen und Käfern zuzusehen.
Nun, es war der 12. Februar, saß er bei schneidender Kälte im Rathaus zu Kyritz und stellte eine Urkunde aus, in welcher er bezeugte, daß er um Freundschaft und besonderer Treue willen, die ihm der edle Mann Graf Ulrich von Lindow, sein lieber Schwager, erwiesen, den Ratsmannen, Schoppen und Bürgern der Stadt Wusterhausen an der Dosse die Freiheit gebe, wohin sie auch in sein Land kämen, zu den Städten oder Vesten in demselben, sei es zu Wasser oder zu Lande, all die redlichen Zölle zu entrichten, wie es vorzeiten Pflege und Gewohnheit gewesen sei und wie andere Städte in der Mark pflichtig sind zu geben, und darüber nicht.
»Ich glaube, wir sollten heute noch nach Köln aufbrechen«, sagte Nienkerken, als die Prozedur vorüber war. »Die Fürstenversammlung, in fünf Tagen soll sie beginnen.«
»Nun gut. Aber verschaff mir einen Raum, wo ich ein wenig schlafen kann«, bat Rehbock. »In meinem Alter …«
Sie standen ein wenig abseits im Rathausflur, und Nienkerken trat ganz dicht an Rehbock heran. »Auf ein Wort, Markgraf Waldemar!«
Rehbock musterte ihn mißtrauisch. »Was ist?«
»In der Kyritzer Feldmark sind einige Dörfer wüst geworden … Ich könnte mir vorstellen, sie wieder aufzubauen, wenn ich das Geld und die Rechte dazu hätte … Von dir – als Dank.«
Rehbock blitzte ihn an. »Du willst mich allein nach Köln reiten lassen!?«
»Ich habe das Meine getan, dir aufs Pferd zu helfen«, sagte Nienkerken mit leisem Lächeln. »Reiten mußt du selber. Und ist es vermessen, mir einen Dank dafür zu erbitten?«
Rehbock schluckte. »Nein. Aber ich brauche dich noch.«
»Du hast die jungen Fürsten an deiner Seite.«
»Das ist etwas anderes …« Rehbocks Augen wurden feucht, denn ohne Henning von Nienkerken fühlte er sich hilflos wie ein Kind. »Wie soll ich ohne dich …«
»Es wird kein gutes Ende nehmen …« Nienkerken blickte auf seine Schuhspitzen hinab.
»Jetzt bin ich Markgraf Waldemar.«
»Meinst du, ich bin der einzige, der die Wahrheit kennt?«
Rehbock sah ihn böse an. »Es gibt nur eine Wahrheit!«
»Und die heißt Jakob Rehbock!« entfuhr es Nienkerken.
Da packte ihn Rehbock, der trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer stärker war als sein schmächtiger Helfer, und stieß ihn so heftig gegen die Wand, daß die Holztäfelung krachte. Als die anderen Begleiter herbeieilten, schickte Rehbock sie mit groben Worten fort. Nur Elisabeth durfte näherkommen.
»Was ist mit Euch?« fragte sie.
»Er will mich verlassen«, klagte Rehbock, »und ist unverschämt dabei.«
»Ganz und gar nicht!« rief Nienkerken. »Aber ich habe meinen Lohn und Dank verdient und will ihn jetzt – und zwar in der Form des Dorfes Beelitz hier.«
»Und warum geht das nicht?« fragte Elisabeth.
»Ich kann es doch den Kyritzern nicht entreißen!« erwiderte Rehbock.
»Was, das kannst du nicht? Aber was habe ich für dich getan? Alles doch! Ich habe dich gemacht, du bist mein Werk! Wie aus nassem Lehm, so hab ich dich geformt!«
»Ich – deine Kreatur!?« Rehbock lachte. »Nein, deinem Lehmbild hätte der Funke Gottes gefehlt. Mich rief, mich schuf ein anderer. Er öffnete die Gräber, er sandte auf mich seinen Geist, er gab mir die Kunde von den Dingen, die Sprache, Kraft und Mut. Er schwebt über meinen Fahnen, er erfüllt mich mit seinem Geist, wenn ich zu Volk und König spreche! Was ich rede, ist sein Wort, was ich tue, sein Werk. Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten! Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen! Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Und du, Nienkerken, du willst mich abrufen davon? Wahrlich, ich sage dir, Fürsten und Kaiser sind zu schwach dazu. Ihrer Gerichte lache ich, denn ich bin stärker durch Ihn. Du willst wider mich streiten! So pickt der Sperling an einen
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