Der Letzte Askanier
befreundet, daß er bei seiner Flucht mit Leah aus Berlin sogleich an ihn gedacht hatte. Und da Helmwig ihn nicht enttäuscht hatte, hielt er sich nun schon seit einiger Zeit mit Leah im Dorfe Warnitz auf.
Meinhard lag neben Leah wie jede Nacht und wagte nicht, sie anzurühren. Seit dem schrecklichen Ende ihres Vaters erschien sie ihm wie eine wandelnde Tote, aber auch, wenn sie mitten in der Bewegung innehielt und in die Ferne starrte, wie eine Statue, aus Marmor gehauen. Sie aß kaum etwas, sprach nur wenig und ließ eine schwere innere Krankheit befürchten. Was ihn besonders schmerzte, war die Erkenntnis, daß auch seine Gegenwart sie nicht zu neuem Leben erweckte. Sosehr er sich mühte, sie abzulenken mit Worten, mit kleinen Zärtlichkeiten, mit Bootsfahrten und Ritten übers Land – ihre Trauer schluckte alle Ermunterungsversuche wie eine lange Winternacht das Licht.
Es war geplant, sie zu ihren Prager Verwandten bringen zu lassen, doch der Bote, den er abgeschickt hatte, schien unterwegs verschollen zu sein. Und er selber wurde dringend von Ludwig gebraucht, denn Waldemar setzte alles in Bewegung, um die Bayern schnellstmöglich zu vertreiben.
Wie nur ließ sich Leah von ihrem Kummer heilen? Die Frage quälte ihn. Und da er sie mit unverminderter Heftigkeit begehrte, dachte er mitunter, es wäre das beste, den Eispanzer, der sie umgab, mit seiner Glut zum Schmelzen zu bringen. Doch immer, wenn er den Versuch machte, sie zu berühren, stieß sie ihn zur Seite.
»Laß mich!«
Meinhard dachte an die Elisabeth Purucker in München und die Genüsse, die sie einem Mann verschaffen konnte. Wie leicht hätte er eine willige Magd oder Bürgersfrau gefunden, wenn er mit Ludwig und seinen Soldaten durch die Mark gezogen wäre, anstatt hier eine Art Totenwache zu halten! Sicher, Leahs Schmerz war auch zu achten. Aber womit hätte sie ihm besser für die Rettung danken können, als mit einer Liebesnacht? War es nicht sein Recht, sich zu nehmen, was sie ihm verwehrte? Nein. Dann war es aus mit aller Liebe. Oder? Es riß ihn hin und her, bis er es nicht mehr aushielt neben ihr, aufstand und hinunterging ins Zimmer, wo der Helmwig von Bucs noch beim Roten saß.
»Nanu, könnt Ihr nicht schlafen?«
»Nein.«
»Dann kommt: Mein Krug ist noch voll.«
Meinhard ließ sich nicht zweimal bitten. »Nur zu.«
»Es steht nicht gut um sie …« Der Ritter zeigte nach oben, wo Leah lag. »Ich an Eurer Stelle würde sie in ein Kloster bringen.«
»Eine Jüdin bei den Nonnen … O Gott!«
»Stimmt ja.« Helmwig von Bucs beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Spielt Ihr Schach?«
»So leidlich.«
»Dann kommt. Ich hab's mir letztes Jahr in Frankfurt vom Eike Winns beibringen lassen.« Der Hausherr holte Brett und Figuren aus der Truhe. »Die hab ich mir von einem Bauern schnitzen lassen.«
»Darum sind die Bauern größer als die Könige«, merkte Meinhard an.
Es war schon weit nach Mitternacht, und sie spielten noch immer, doch plötzlich ließ Helmwig von Bucs den Springer sinken und lauschte. »Was sind das für Geräusche draußen?«
Meinhard sprang auf. »Ist Waldemar über die Oder gekommen, um Ludwig die letzten Dörfer und Städte zu nehmen?«
»Nein …« Der Ritter lief zur Tür. »Es klingt nach Wagenrädern.«
Als er geöffnet hatte, sahen sie draußen im fahlen Mondlicht einen Händlerwagen halten. Ein Mann sprang herab, der dick war wie ein Faß.
»Ihr edlen Herren, ich bin der Anschel Jakubowitsch aus Prag und bin gekommen, meine Nichte abzuholen, Leah …«
»Herzlich willkommen!« Meinhard ging auf den Händler zu. »Und Dank den himmlischen Mächten, welchen auch immer, daß Ihr uns gefunden habt!«
Leah wurde geholt und sank ihrem Onkel schluchzend in die Arme.
Helmwig von Bucs weckte sein Gesinde. »Los, tischt auf, was Küche und Keller zu bieten haben, Wein und Braten, unser Frühstück soll ein Festmahl werden.«
Als sie Stunden später wieder in ihrer kleinen Kammer waren, hatte Leah ihre Erstarrung überwunden. Sie fuhr ihm mit den Fingerspitzen zärtlich über die Lippen. »Nun ist die Zeit gekommen.«
Es wurde eine Liebesnacht, wie sie sich kein Minnesänger hätte schöner denken können. Sie ließen erst wieder voneinander ab, als es am Morgen des nächsten Tages an die Tür pochte.
»Meinhard, es tut mir leid, dich zu stören.«
Das war die tiefe Stimme des Ritters Betkin von Ost. »Was ist?«
»Ludwig braucht jeden Mann gegen Waldemar. Es geht unserem Ende entgegen.«
Es
Weitere Kostenlose Bücher