Der Letzte Askanier
sie über ihn herfallen und ihn mit ihren Kreuzen, Prügeln und Stricken erschlagen würden, fügte er sich, und ehe er sich's versah, lag er schon auf dem Bauch. Beinahe mußte er lächeln, denn die Sünde des Ehebruchs hatte er tatsächlich begangen – im letzten Jahr mit der Elisabeth Purucker in München.
Aus den Augenwinkeln verfolgte er, wie Vater Martin durch die Reihen der bekennenden Sünder schritt, seinen Knotenstrick schwenkte und auf die Liegenden niedersausen ließ. In die Knoten waren kreuzweise zwei eiserne Stacheln getrieben, so daß vier Spitzen in der Länge eines Weizenkorns hervorschauten.
Vor Meinhard blieb er stehen, schlug mit der Geißel auf ihn ein und keuchte: »Da, fließe, sündiges Blut! Ich befehle dir, zum Zeichen deiner Bußfertigkeit und Reue, dein Haus, dein Weib und dein Kind zu verlassen, ein härenes Büßergewand zu tragen und mit uns zu ziehen. Willst du das!?«
»Ja«, hauchte Meinhard, und noch größere Todesangst erfüllte ihn als ein Jahr zuvor auf dem Spandauer Markt, als er aufs Rad geflochten werden sollte und sie seinen Freund Guntzo vor seinen Augen erschlagen hatten.
»So ist es recht.« Der Meister freute sich.
Bevor Meinhard einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde er von Vater Martin hochgerissen und mußte ihm folgen. Er griff sich an den Rücken und starrte fassungslos auf das Blut, das ihm von der Hand tropfte. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu Friedrich von Lochen hinüber, doch der wußte beim besten Willen keinen Rat. Mitzumachen erschien auch ihm als das kleinere Übel.
Nun begann die Massengeißelung. Um einige Vorsänger scharten sich die Brüder zum Kreis und jeder geißelte sich selbst mit einem Stock, an dem drei Stricke befestigt waren, mit dicken Knoten an den Enden und den üblichen Eisendornen darin. Sie schlugen sich im Takt des Liedes:
Nun trete herzu, wer büßen will,
Fliehen wir die heiße Hölle,
Lucifer ist ein böser Geselle …
Wer unserer Buße will pflegen,
Der soll vergelten und wiedergeben,
Der vergelte recht, laß die Sünde fahr'n,
So wird sich Gott über ihn erbarm'n.
Als Meinhard eine Weile lang mit ihnen gesungen hatte, fühlte er sich von einer großen, weichen Wolke fortgetragen und vergaß, wo er war und wer er war. Es schien ihm alles außerordentlich logisch und richtig, was hier geschah.
Nun hebet auf wohl eure Hände,
Daß Gott dies große Sterben wende,
Nun hebet auf wohl eure Arme,
Daß Gott sich über uns erbarme.
Jesus durch deiner Namen drei
Du machst uns hier von Sünden frei,
Jesus, durch deine Wunden rot
Behüte uns vor dem jähen Tod.
Als der Gesang vollendet war, las Vater Martin mit lauter Stimme die Predigt der Geißler: »Dies ist die Botschaft unseres Herrn Jesus Christus, die vom Himmel herabgekommen ist am Altar der guten Herren St. Peter zu Jerusalem, geschrieben an eine marmorne Tafel, von der ein Licht ausging gleich einem Blitz …«
Meinhard, wieder zu sich gekommen, hörte nur mit halbem Ohr zu und sann verzweifelt auf eine Möglichkeit, den Geißlern zu entrinnen, ohne dabei zu Tode zu kommen. Gnadenlos hämmerte Vater Martins Stimme auf ihn ein, und er fürchtete, ihr noch zu erliegen, wenn das so weiterging.
»Oh, ihr Ungetreuen und ihr Ungläubigen, bedenket ihr nicht, daß mein Gotteszorn über euch gekommen ist wegen eurer Bosheit, die ihr euch angewöhnt habt? Glaubet und folget ihr nicht meinem Gebot, so will ich blutigen Regen fallen lassen, dicker als Hagel! Vergießet euer Blut, so wie Christus sein Blut am Kreuz für euch vergossen hat, vergießet es, vergießet!«
Wieder geißelten sich alle. Auch Meinhard tat es und bemerkte mit Verwunderung, daß es ihn kaum schmerzte. Konnte es sein, daß die Geißler recht hatten und sich Gott wirklich in seinem Zorn besänftigen ließ und den Schwarzen Tod wieder abzog vom Land?
Vater Martin geriet nun in eine fromme Raserei. »Aber lasset nicht nur euer eigenes Blut fließen«, schrie er mit überschnappender Stimme, »sondern auch das der Feinde Christi, der teuflischen Juden! Denn um ihrer Verbrechen willen hat sich der Herr erzürnt und beschlossen, euch zu strafen, da ihr sie in eurer Mitte duldet, das Natterngezücht, das den Herrn Jesus Christus gekreuzigt hat und auch heute noch dem christlichen Namen Verderben bringt. Denn der Schwarze Tod ist nichts weiter als die üble Zauberei der jüdischen Teufelsanbeter! Rottet sie aus!«
Da stürzten sie los zur Judengasse. Meinhard mit ihnen. Und während er mit
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