Der Letzte Askanier
nach Templin. Dort versank er wieder in seinen Dämmerzustand und wußte nicht mehr, wann und warum sie von Berlin weggeritten waren.
Wo immer er ein Kreuz erblickte, fiel er nieder und betete, denn er hielt seine Krankheit, gegen die es kein Heilmittel gab, für die gerechte Strafe Gottes. Ach Herr, unsere Missetaten haben's ja verdient; aber hilf doch um deines Namens willen! denn unser Ungehorsam ist groß, mit dem wir wider dich gesündigt haben. Er war ein Betrüger, ein Hochstapler, ein Schelm. Er hatte das Beste gewollt, aber in Wahrheit nur Unglück über Brandenburg gebracht. Und bei jedem Gewitter starb er einen kleinen Tod, dachte er doch, daß er nun gerichtet werden würde, denn: Der Herr prüft den Gerechten; seine Seele haßt den Gottlosen und den Frevler. Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitze, Feuer und Schwefel … Und sein Tun war gottlos und frevelhaft gewesen. Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet. Er aber war nicht selig, denn er hatte ihr nachgegeben und danach gestrebt, Markgraf zu werden.
»Waldemar, dein Brei ist fertig!«
Wenn er den Namen hörte, reagierte er oft nicht. Wer war Waldemar? Aber auch Jakob war er nicht. Eins weniger eins, das war eben null. Jakob weniger Waldemar, das war ein Nichtmensch, das war er.
»Ich nicht Hunger!«
»Du mußt aber essen!« beharrte Elisabeth und versuchte, ihm den Löffel mit Hirsebrei zwischen die Zähne zu schieben. Immer häufiger mußte sie ihn füttern, weil er nicht mehr in der Lage war, den Löffel zu führen.
»Gegessen viel am Morgen ich erst habe.«
Oft fand er die passenden Worte nicht mehr und mischte dann alles aus den Sprachen, die er im Heiligen Land und auf dem Weg dorthin gelernt hatte. Stundenlang konnte er dasitzen und in einem fremden Kauderwelsch vor sich hin brabbeln oder sich an kindlichen Reimen erfreuen: »Ludwig von Bayern versteht nicht viel von Eiern. Ludwig von Bayern versteht nicht viel von Eiern. Ludwig von Bayern versteht nicht viel von Eiern …«
Dann wieder lief er einen halben Tag lang im Hohen Haus umher, um nach Mahlsteinen zu suchen.
»Waldemar, hier gibt es keine Mahlsteine.«
»Doch, doch, doch, doch, doch, doch, doch, doch, doch!«
»Was sind denn Mahlsteine?« fragte Elisabeth.
Das wußte er nicht. Es war ihm auch egal. Hauptsache, er suchte welche.
Besonders unruhig war sein Mund, pausenlos mummelte er gleich einem Karnickel. Ab und zu verkrampfte sich seine Zunge, und er schrie fürchterlich, weil er sie nicht ausspucken konnte. Mit Mühe verhinderte Elisabeth, daß er sie mit dem Messer herausschnitt.
Einmal war es ganz schlimm gewesen, da war er durch das Haus gelaufen und hatte geschrien, daß die Litauer hinter im her wären. »Sie wollen mir den Kopf abschlagen, sie wollen mir den Kopf abschlagen.«
Als Elisabeth ihn festhalten wollte, hatte er sie hart gepackt und fortgeschleift, um sie in den Keller zu sperren. Nur Hans Lüddecke hatte ihn bändigen können.
Aber diese Anfälle gingen schnell vorbei, und es kamen Tage, an denen er fast wieder der alte war und davon träumte, die Mark endlich zu einem gottgefälligen Lande zu machen. »Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.«
Elisabeth streichelte ihm die Hände und sagte, daß alles gut werden würde, daß es gut werden mußte, weil es gut begonnen hatte.
So ging es über Wochen und Monate, bis eines Tages Hans Lüddecke mit einer Meldung ins Zimmer stürzte, die Rehbock jäh aus seinen Träumereien riß.
»Der Dänenkönig steht vor Berlin!«
Rehbock wußte auch gleich, was das zu bedeuten hatte. Das Heer des Dänen war von Herzog Albrecht und seinen Mecklenburgern in der Uckermark eingeschlossen worden; die Mecklenburger hatten aber wieder abziehen müssen, um sich Ludwig dem Römer entgegenzuwerfen, der mit seinen Truppen von Osten her über die Oder zum Kriegsschauplatz eilte. Ludwig der Römer hatte im Hause Wittelsbach das Heft fest in die Hand genommen, was die Mark betraf, und in der Neumark viele Reisige und Ritter zusammengezogen, um anstelle seines schwachen und zögerlichen Bruders Front gegen Waldemar zu machen. Bei Oderberg war es dann auch zu einer großen Schlacht gekommen, bei der seine Streitmacht aber vollkommen aufgerieben wurde. Mehr als hundert Menschen ertranken, als ein mit Fliehenden überladenes Schiff im Oderberger See versank.
Der Dänenkönig war Ludwig dem Römer, seinem Verbündeten, nicht zur Hilfe gekommen, zog aber nun, vereinigt mit den beiden
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