Der Letzte Askanier
erstochen hätte. Es konnte auch ein Traum gewesen sein, vielleicht auch ein Produkt seiner angestrengten Phantasie. Ja, diese ganze Szene kam ihm plötzlich wie ein Traum vor. Oder war das ganze Leben nur ein Traum? Wie betäubt schloß er die Augen.
»Ist etwas mit Euch?« fragte Denecken.
»Nein, nein … Nur nach so vielen Jahren, da …«
»Ich verstehe … Es ist, als ob Ihr ahnen würdet, was seit damals alles geschehen ist.«
»Ihr meint, mit meiner Mühle?«
»Ja.«
»Was denn?« kam Rehbocks bange Frage.
»Wir sollten uns in eine Schenke setzen«, schlug Denecken vor.
»Tun wir das.« Rehbock hatte das sichere Gefühl, daß ihm nach dieser Einleitung nur Schreckliches eröffnet werden konnte, drang aber vorerst nicht weiter in den Mann, der sein Knecht gewesen war.
Als der Wirt den Krug mit rotem Wein gebracht und eingeschenkt hatte, kam Denecken vorsichtig auf die Bärwalder Mühle zurück.
»Ihr erinnert Euch, daß Markgraf Waldemar bei uns gewesen ist?«
»Um Urkunden auszustellen?« Es war mehr eine Frage als eine Feststellung, denn Rehbock konnte sich nicht genau erinnern.
Denecken nickte. »Ja. Bei Euch in der Mühle ist er eingekehrt.«
Rehbock zögerte mit der Antwort. »Wahrscheinlich ja …«
Denecken drohte ihm scherzhaft mit dem Finger: »Ich weiß schon, warum Ihr das verschweigen wollt: des Ringes wegen. Das ganze Dorf hat's aber gewußt, daß der Markgraf Euch einen seiner Ringe geschenkt hat, als Dank dafür, daß Ihr ihn gerettet habt, als das große Unwetter war und der Blitz ihn zu erschlagen drohte. Habt Ihr den bei der Mühle vergraben, als Ihr ins Heilige Land gezogen seid – oder mitgenommen und wieder mitgebracht?«
Rehbock hielt ihm bereitwillig die Hände entgegen. »Nein, nein, der ist lange verschwunden, den hat man mir in Jerusalem vom Finger gezogen.« Das war zwar nicht gelogen, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Nachdem ihn Bruder Marquardus unter dem umgestürzten Gerüst an der Grabeskirche hervorgezogen und ins Hospital geschafft hatte, war es dem Franziskaner sicherer erschienen, den Ring, dessen Wert und Herkunft er sehr genau kannte, an sich zu nehmen. Hinterher, als er aus dem Koma erwacht war und der Mönch sein leeres Gedächtnis langsam wieder aufgefüllt hatte, war es beiden klüger erschienen, Waldemars Ring nicht mehr offen am Finger zu tragen, sondern in den Saum des graubraunen Pilgergewandes zu nähen. Dort stak er noch immer. Doch das brauchte Denecken nicht zu wissen, und es war besser, ihn von diesem Thema abzubringen. »Was ist denn nun geschehen in all den Jahren?«
»Ihr wißt, was es hier gegeben hat, nachdem der Markgraf Waldemar in Chorin begraben war?«
»Nein, da war ich schon in Italien, um mit dem Schiff nach Jerusalem zu reisen.«
»Ich war damals dabei, als wir den toten Markgrafen im Wald gefunden haben«, erzählte Denecken mit großem Stolz. »Er war vom Pferd zertrampelt worden. Sein Kopf war ein grausiger Anblick!«
»Bitte, hört auf!« bat Rehbock mit gefalteten Händen.
»Dann kam eine schreckliche Zeit, denn der neue Markgraf Ludwig aus Bayern hatte nicht die Kraft, den inneren und äußeren Feinden das Haupt abzuschlagen.«
»Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen.« Wieder mußte der Pilger an die Bäuerin im Fläming denken.
»Am schlimmsten war wohl das Jahr 1325«, fuhr Denecken fort, »denn da fielen auf Geheiß des Papstes die Polen und vor allem die Litauer ein und verwüsteten das Land.«
»Aber Bärwalde hat ihnen standhalten können?« war Rehbocks bange Frage.
»Die Stadt ja, alles drumherum aber nicht.«
Rehbock schloß die Augen. »Und meine Mühle.«
»Eure Frau hat sie heldenhaft verteidigt, gegen David von Grodno und seine Schar. Mit mir zusammen, bis zuletzt. Dann hat alles gebrannt …«
Rehbock flüchtete sich ins Gebet. Und es sind mancherlei Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirket alles in allen. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht … Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben … »Und dann?« stieß er schließlich hervor.
Denecken senkte den Kopf. »Es ist schrecklich gewesen … Eure Tochter Agnes fiel dem Schwert zum Opfer, und Eure Frau und Eure Tochter Adela wurden ohne Gnade verschleppt.«
Als Rehbock das hörte, brach er zusammen.
Auf den Trümmern seiner Mühle wuchs das Unkraut, und die Birken waren schon so hoch, daß sie die Flügel arg behindert hätten, wenn sie denn noch dagewesen
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