Der Letzte Askanier
lernte es hier. Zumal wenn man alleine ritt und einen die unerfüllte Liebe fiebern ließ.
Gottes Fluch schien auf diesem Lande zu liegen. Attenweiler kam es vor wie ein einstmals wunderschöner Garten, über den vor Jahren ein Rudel Wildschweine hergefallen war. Und bis jetzt hatte sich kein Gärtner gefunden, der fähig war, die Schäden zu beseitigen. Sein Freund Ludwig war ein solcher nicht, das wurde ihm immer deutlicher, je weiter er von Meißen kommend nach Norden gelangte. Mehrmals fand er Leichen am Wegrand, die Opfer von Buschräubern, und der Aasgestank lockte die Raben an und die Wölfe aus den Wäldern.
Der Ritt wäre ihm unerträglich geworden, hätte er nicht immerfort ein Bild vor Augen gehabt – Leah, wie sie am Alten Hof in München aus dem Wagen stieg. Ihren Namen hatte er erfahren, mehr aber nicht. Ehe er sich vom Markgrafen hatte losreißen können, war sie von einem Freund ihres Vaters abgeholt worden, und die Juden hatten auf seine Fragen hin nur die Schultern gezuckt. Schließlich sollte das Mädchen nicht zur Bettgespielin wollüstiger Ritter werden. Wenn er an Betkin von Ost dachte, mußte er ihnen recht geben, doch bei ihm selbst war es ja etwas ganz anderes als nur die bloße Gier – und er war wütend, daß sie das nicht zu bemerken schienen.
Während er seinen Braunen zur Eile trieb, denn irgendwann hätte er gerne Berlin und Cölln erreicht und in einem Bett geschlafen statt in einer Kuhle aus Reisig und Heu, sang er alte Minnelieder:
Sie hat ein Kissen, das ist rot.
Dürft küssen ich's mit meinem Mund,
ich wär geheilt von aller Not,
und wäre immerdar gesund.
Doch was er auch tat und dachte, alles lief auf das heftige Verlangen hinaus, mit Leah allein zu sein und ungestüm ihre weichen Schenkel zu öffnen. Einerseits war er erzogen worden mit den Worten des Thomas von Aquins, daß die Frauen nichts weiter seien als ein Teil der notwendigen Dinge des Lebens, und andere behaupteten gar, daß sie keine Seele hätten, man sie also benutzen durfte, so oft und wie man wollte. Andererseits aber war die Wollust als Todsünde verschrien. Auch war es in der hohen Minne üblich, die Frauen anzubeten, aber ihren Leib nicht anzurühren. Das hatte er mehrmals erlebt, daß er von einer brünftigen Frau nichts weiter erhalten hatte als einen Handkuß und ein huldvolles Lächeln und dann in die Mägdekammer abgeschoben worden war, um sich dort zu holen, was er wollte und so dringend brauchte.
Die Sonne brach durch die Wolken, und plötzlich gewann das Land eine herbe Schönheit, die ihn richtig fröhlich machte. Es war eine Stimmung, wie er sie von Bildern kannte, die den Einzug Jesu in Jerusalem schilderten. »Hosianna dem Sohne Davids, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höh!« Palmzweige und Blumen streute man ihm auf den Weg. Die Kiefern mit den hellgrünen Maitrieben, das waren die Palmblätter, und Ruprechtskraut, Kamille, Schafgarbe und Buschwindröschen, das waren die Blumen. Golden funkelte der märkische Sand an aufgerissenen Hängen.
Fast erschrocken riß Meinhard an den Zügeln, als er auf eine Lichtung kam und im milden Licht der Nachmittagssonne einen alten Pilger vor einem verwitterten Marienbilde knien sah. Normalerweise war Vorsicht angesagt, denn die Buschräuber schickten ihre Spione oft im Pilgerkleid umher, doch dieser Mann war kein Späher. Laut sprach er sein Gebet, und Meinhard schien es voll wahrhaftiger Inbrunst zu sein.
»Siehe, ich liebe deine Befehle; Herr, erquicke mich nach deiner Gnade. Herr, ich warte auf dein Heil und tue nach deinen Geboten.«
Als der Pilger den Reiter bemerkte, drehte er sich langsam um und stand auf. Meinhard war erstaunt, mit welcher Kraft und Grazie er das tat. Zweierlei fiel ihm auf: einmal die große Narbe im Gesicht des Mannes und dann das Gewand, das er trug. Ohne Zweifel war es von morgenländischem Zuschnitt.
»Entschuldigt, daß ich Eure Andacht störe«, sagte Meinhard und hielt dicht neben dem Pilger.
»Ich war bereits am Ende.«
»Wer seid Ihr?«
Der Pilger zögerte und schien sich erst besinnen zu müssen. »Nun … der Müller Jäckel bin ich, aus Niemegk hier gleich nebenan, will aber nach Bärwalde hinter der Oder, wo ich zuletzt meine Mühle hatte. Zu sehen, ob da noch Menschen sind, die an mir hängen. Viel Zeit ist ja vergangen. Es war eine lange Pilgerreise zum Grabe des Herrn.«
Meinhard nickte, nannte seinen Namen und das Ziel seiner Reise. »Auch ich bin schon in Jerusalem gewesen.«
Den
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