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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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wären. Es war ein trüber Tag mit viel Regen und dichten Wolken.
    Rehbock wühlte im Schutt nach Dingen, die das freudige Feuer der Erinnerung hätten aufflammen lassen, fand aber nichts außer vermoderten Balken und bemoosten Steinen. Natürlich, die Dorfbewohner hatten längst alles Brauchbare fortgetragen.
    Irgendwo hier, das wurde ihm mit Schrecken klar, mußten auch die Gebeine seiner Agnes liegen, denn die Litauer hatten alle Bewohner getötet oder fortgetrieben, und keiner hatte die Toten begraben. Er richtete den Blick nach Osten. Nein, fünfundzwanzig Jahre Sklaverei, das überlebte keiner. Und nach Litauen zu wandern und nach ihnen zu suchen, dazu fehlte ihm die Kraft.
    Unendlich verloren stand er da, als wäre er der einzige Mensch im Erdenrund. Da war er durch die halbe Welt gezogen, um bei Frau und Kindern seinen Frieden zu finden und sich fürs Sterben zu rüsten – und fand nur Ruinen vor. Die Ruinen seines Lebens. Tränen flossen ihm aus den Augen, und er fiel auf die Knie. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mein Odem ist schwach, und meine Tage sind gezählt; das Grab ist nah. Mein Auge ist trüb geworden vor Trauer, und meine Glieder sind wie Schatten.
    Alles war umsonst gewesen – die ganze Pilgerreise, die jahrelange Selbstkasteiung, das unablässige Gebet. Der Herr hatte sein Opfer nicht angenommen, seine Buße nicht erhört, er ließ ihn fallen ins Nichts.
    Doch dann fuhr er hoch, denn er dachte an den irdischen Herrscher, der all dieses Elend verschuldet hatte, an Ludwig den Bayern. Er stieß die rechte Faust in den Himmel. »Mögest du zur Hölle fahren, Markgraf Ludwig!«
    Diese Aufwallung war zuviel für ihn, er sank zu Boden und lag lange leblos da. Es war wie eine Betäubung, doch als sie wich, spürte er im linken Knie einen stechenden Schmerz. Er schaute nach und fand heraus, daß es kein Stein war, der ihn gedrückt hatte, nein: Es war der eingenähte Ring des Markgrafen Waldemar. Er riß ihn aus dem Saum heraus und betrachtete ihn. Zum ersten Mal seit Jahren wieder. Es war das in Gold geprägte Siegel des Landesherrn. Waldemar stand da in voller Ritterrüstung, einen Umhang um die Schultern gelegt. In der rechten Hand hielt er sein Banner und links stützte er sich auf einen Schild mit dem Adler Brandenburgs.
    In diesem Moment brach die Sonne durch die Wolken, und der goldene Ring erstrahlte so hell, daß Rehbock sich geblendet fühlte.
    Er begriff das als den Befehl Gottes, mit diesem Ring und seiner magischen Kraft den Weg zu beschreiten, den ihm die Bäuerin im Fläming vor Wochen schon gewiesen hatte: der Markgraf Waldemar zu werden. Oder war es purer Zufall, daß sie von ähnlicher Statur und gleichem Alter waren? War nicht auch die Narbe dazu angetan? Schließlich besaß er den Ring, den der echte Waldemar zweifellos besessen und getragen hatte. Blieben die vornehme Sprache und das höfische Benehmen. Nun, da hatte er im langen Umgang mit Marquardus einiges gelernt. Vielleicht ließ sich auch ein verarmter Ritter finden, der mit ihm zog und ihn in allem unterwies. Wenn die Leute in ihm den alten Landesherren sehen wollten, dann sahen sie ihn auch. Sie brauchten ihren Erlöser, sehnten ihn seit Jahren herbei. Und er wäre ihnen ganz sicher ein besserer Markgraf als der Mann, der aus der Fremde kam und dieses Land nicht mochte.
    Daß er so dachte, erfüllte ihn mit Schrecken. Wie konnte er es wagen, als armer alter Mann, als einfacher Müller, den Fürsten dieser Welt die Stirn zu bieten! Das konnte nur ein Narr. Schon wollte er Abschied nehmen von diesem Gedanken, da hörte er in sich die Stimme Gottes: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. Also gehe hin, Jakob Rehbock aus Niemegk und Bärwalde, und werde der alte Markgraf Waldemar, auf daß dieses Land wieder seinen Frieden finde.
    Da sprang er auf, tanzte auf den Trümmern der Mühle herum und schrie zur Oder hinüber, daß es weit in die Mark schallte: »Ludwig, ich komme! Ich jage dich aus Brandenburg hinaus!«

 

    KAPITEL 10
    1348 – Fläming
    M einhard von Attenweiler verfluchte dieses Land, in dem man auch im Sommer fror und ständig nasse Kleider hatte. In diesem Meer aus Moor und Heide, Kiefern und Sand lagen die Dörfer und Städte weiter auseinander als die Inseln zwischen Samos und Rhodos, ach, weiter auseinander als die Sterne am Himmel. Wer nicht wußte, was Traurigkeit war, der

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