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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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einen anderen Mann genommen? Wer war der neue Müller auf dem kleinen Hügel vor Bärwalde? Marquardus hatte ihm immer wieder von seiner Frau, seinen Töchtern und seiner Mühle erzählt, als ihm nach dem Einsturz des Gerüstes an der Grabeskirche das Gedächtnis geschwunden war. Ohne den Franziskanermönch wäre sein Kopf wie eine leere Rolle Pergament gewesen. Im tiefsten Leiden hatte er ohne Unterlaß gebetet: Gott, hilf mir; denn das Wasser geht mir bis an die Seele. Ich versinke in tiefem Schlamm, da kein Grund ist; ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ersäufen. Und der Herr hatte ihm geholfen. Bald würde er wieder in seiner Mühle sein, gereinigt von der Sünde, vorbereitet auf seine letzten Tage und das Sterben in Frieden.
    Frohgemut bedankte er sich für Speis und Trank und machte sich auf den Weg ins Land jenseits der Oder, nicht ohne vorher noch die kleine Stadt in Augenschein zu nehmen. Vielleicht fand er wieder einen Kaufmannswagen, der ihn mitnahm Richtung Wriezen oder Oderberg, denn 67 Jahre zählte er nun, und das Laufen über längere Strecken wurde langsam eine Qual. Erst schmerzten nur die Zehen, die Hacken und die Ballen, dann die Kniegelenke und die Hüften, schließlich aber der ganze alt und morsch gewordene Leib. Niemand kannte seinen Tag und seine Stunde, aber es wäre schon ein Wunder, wenn der Herr ihn nicht bald, noch vor der Jahrhundertmitte, heimholen würde. Wir alle sind des Todes. Am Fuße seiner Mühle wollte er begraben sein.
    Erfüllt vom Gedanken an Abschied und Tod ließ er sich durch die Straßen treiben, bis er St. Marien erreichte. Hier trat er ein, um voller Inbrunst zu beten: Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewiglich; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Du führest, Herr, die Sache meiner Seele und erlösest mein Leben!
    Als er sich wieder erhoben hatte, ging er in der Kirche umher und blieb vor einer Grabplatte stehen, welche die sterblichen Überreste des Markgrafen Otto III. deckte. Das wirre Gerede der Bäuerin aus dem Fläming kam ihm wieder in den Sinn. Er, der Müller Jakob Rehbock, sollte der auferstandene Markgraf Waldemar sein und seine Narbe der Beweis dafür. Da mußte selbst er beinahe lachen: Dann wäre ja dieser hier sein Urahn gewesen. Er wußte nicht recht, wie das bei den Askaniern gegangen war: Albrecht, Johann, Konrad, Hermann, Waldemar und Otto, da ging ihm alles durcheinander.
    Er kam auf den Markt und hoffte, daß sich einer der Händler seiner erbarmte und ihm einen halben Brotlaib schenkte für die lange Wanderung bis an die Oder. Aber es gab zu viele Arme, Bettler, heruntergekommene Mönche und heimgekehrte Pilger, als daß da viel zu erwarten war.
    Als er aber am Stand eines Tuchhändlers angehalten hatte, um zu bestaunen, was es alles gab, sprach ihn der Gehilfe an, ein Mann von etwa fünfzig Jahren. »Sagt einmal: seid Ihr ein Pilger aus Jerusalem?«
    »Ja …« Rehbock war ein wenig mißtrauisch geworden, weil die Frage wie die eines strengen Zöllners klang.
    »Irgendwo habe ich Euch schon einmal gesehen …«
    »Wart Ihr auch als Pilger unterwegs?«
    »Nein …«
    »Nun denn …« Rehbock wollte sich schnell davonmachen, denn der Blick des Gehilfen war immer bohrender geworden, und er fürchtete schon, der würde nun auch – wie vor Wochen die Bäuerin – in ekstatische Rufe ausbrechen, daß der Markgraf Waldemar wiederauferstanden sei und leibhaftig vor den Leuten stünde.
    Doch kaum hatte er ein paar Schritte getan, war der Mann schon hinter ihm und hielt ihn fest, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. »Einen Augenblick!«
    »Was ist!?« Rehbock schaute sich unwillig um und griff den Pilgerstab fester.
    »Seid Ihr nicht der Müller Rehbock aus Bärwalde?«
    Da konnte er also aufatmen. »Ja, der bin ich.«
    Der Tuchhändlergehilfe bekam leuchtende Augen. »Da müßt Ihr mich doch kennen!«
    »Ich war knappe dreißig Jahre im Heiligen Land, weit fort von hier.«
    »Nun, ja … Ich bin aber Euer Knecht gewesen in der Mühle, bevor mich der Vogt von Biesenthal zum Händler Göricke nach Frankfurt gegeben hat.«
    »So …« Noch dämmerte ihm nicht das Geringste.
    »Der Denecken.«
    »Ja, natürlich.« Ganz verschwommen, so wie man ein Schiff am Horizont mehr erahnt als wirklich sieht, hatte Rehbock ein Bild vor Augen, wie Denecken den Arm um Adelas Hüften legen wollte und er ihn deswegen fast

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