Der Letzte Askanier
Pilger freute es, sie redeten eine Weile über das Heilige Land und stellten fest, daß sie sich in Akkon fast über den Weg gelaufen wären.
»Wollt Ihr mit aufs Pferd?« fragte Meinhard schließlich, denn der fremde Pilger, der ihn in vielem an seinen Vater erinnerte, zog ihn magisch an. Doch der winkte ab.
»Mein Gelübde gebietet mir, zu Fuß in die Heimat zurückzukehren und den Weg zu Ende zu gehen, den der Herr mir vorgegeben hat.«
Meinhard verstand und sagte dem Pilger mit einem langen Händedruck Lebewohl. Von dem Alten ging etwas aus, was ihn erbeben ließ. Mehr als Ehrfurcht war es, Charisma nannten das die Griechen. Und Meinhard kam zu der Erkenntnis, daß die Nähe zu Jesus Christus, erfuhr man sie an den Stätten, wo er gelebt hatte und wo er gekreuzigt worden war, imstande war, aus einem einfachen Müller einen Mann zu machen, der es an Ausstrahlung mit Fürsten wie Ludwig allemal aufnehmen konnte.
So ritt er gedankenversunken weiter und fragte sich, wer wohl das glücklichere Los gezogen hatte: ein hochfahrender Herzog voller sündiger Begierden oder ein armer Pilger, der den Weg des Geistes ging und der Erlösung sicher sein durfte.
Die Sonne neigte sich langsam, und er beschloß, bald nach einem Lagerplatz am Waldrand Ausschau zu halten. Zwar wäre er noch gern bis Brietzen gekommen, doch er schien auf einen östlicher gelegenen Weg geraten zu sein, denn die Türme zeigten sich noch immer nicht. Nicht einmal, als er auf einer Anhöhe eine Eiche erklomm. Das flache Hügelland dehnte sich weit zum Horizont, in blaugrünen Wellen erstreckten sich ringsum die Wälder.
Er stieg von seinem wackeren Braunen, versorgte ihn und setzte sich auf eine umgestürzte Eiche. Um die Rast zu nutzen und seiner Göttin Leah zu huldigen, blätterte und las er ein wenig in den galanten Versen des ›Roman de la Rose‹, die er im Tornister mit sich führte.
Der Liebesgott ist es, der die Liebschaften verteilt, wie es ihm gefällt. Er ist es, der die Liebenden lenkt, der den Hochmut besiegt, aus hohen Herren Knechte und aus Damen Dienerinnen macht …
Die Liebe ist feindseliger Friede, die Liebe ist liebende Feindseligkeit, sie ist treulose Treue, sie ist Furcht voller Zuversicht, verzweifelte Hoffnung, wahnwitzige Vernunft und vernünftiger Wahn, die süße Gefahr des Ertrinkens und die schwere Last, die leicht zu tragen ist.
Sie ist die gefahrvolle Charybdis, abstoßend und anziehend zugleich. Sie ist das Siechtum der Gesunden und eine Gesundheit, die dem Siechtum gleicht; sie stillt ihren Hunger am Überfluß und ist sich dennoch selbst genug; sie ist ein Durst, der immer trunken ist, und Trunkenheit, die sich am Durst berauscht.
Sie ist trügerische Wonne und fröhliche Trauer; sie ist wütende Freude, süßes Weh, schmerzhafte Lust, himmlisches Aroma mit irdischem Nachgeschmack.
Sie ist die Sünde, in der Vergebung schlummert; sie ist die Strafe, die Beglückung bringt, die Grausamkeit, die sich in Sanftmut zeigt; sie ist ein Spiel mit sich'rem Ausgang und doch ungewiß, wechselhaft, gleichwohl von Dauer …
Sie ist die süße Hölle und das Paradies der Schmerzen; sie ist ein Kerker, der den Häftling tröstet, ein Frühling voller Winterkälte; ein Aussatz, der niemanden verschont, der Purpurrobe und Bettelkleid durchdringt. Denn die Liebe stört sich nicht an Lumpen und verschmäht auch nicht das Meßgewand.
Genauso zerrissen, wie es die Poeten Guillaume de Lorris und Jean de Meung beschrieben hatten, fühlte auch er sich. Geistesabwesend ritt er weiter Richtung Norden. Den Weg hatte er verloren, er mußte sich vom Instinkt leiten lassen. Mal ging es durch tiefen Sand, mal durch festes Gras, dann wieder folgte braunes Heideland mit viel Kieferngestrüpp und eine Wiese, die schnell morastig wurde und keinen Grund mehr bot. Rebhühner und Hirsche scheuchte er auf, und er geriet in einen Wald, den seit Urzeiten kein Mensch betreten haben mochte. In den Wipfeln rauschte der Wind, und doch war es unheimlich still.
Guntzo Köpcke ritt mit Wilkin und Ruprecht, zwei seiner Getreuen, am nördlichen Steilufer des Wutzsees entlang. Linker Hand glitzerte das silberne Wasser, und wenn die Kiefernstämme etwas lichter wurden, ließen sich in der Ferne schon die Türme Lindows erkennen. Von den Herren des Landes – ob nun Kirchenfürsten, Grafen oder reiche Bürger – wurden sie Stellmeiser oder Räuber genannt, sie selber aber sahen sich als Freie. Frei von jeder Lehnsherrschaft und Obrigkeit, frei in
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