Der Letzte Askanier
Kaufmann, der neben Meinhard saß, rief nun dazwischen, daß die Frankfurter keinen Grund hätten, über die Berliner zu richten. »Ihr habt schließlich Euerm Bischof Stephan das Haus angezündet – und er ist drin verbrannt. Zwanzig Jahre Bann und Interdikt für Euch.«
»Und darum halten wir zu Ludwig!« betonte Eike Winns.
»Der Bayer ist doch allein an unserem Elend schuld!« rief der Berliner. »Unter Waldemar wären wir ein blühendes Land.«
Da gaben ihm fast alle recht, wie Meinhard mit einer gewissen Wehmut registrieren mußte.
»Und weil dem so ist«, fügte der Havelberger Domherr hinzu, »reden die Leute allenthalben davon, daß ihr Waldemar zurückgekehrt sei. Ein anderer soll in seinem Grabe liegen. Er zieht als frommer Pilger aus Jerusalem durch das Land, wie man sagt, um sich wieder hineinzufinden in alles. Viele wollen ihn gesehen haben – mit seiner großen Narbe im Gesicht.«
Fast wäre Meinhard aufgesprungen und zu seinem Pferd gelaufen. Narr er! Hätte er das vor Stunden gewußt, er hätte den falschen Waldemar mit einem Handgriff haben und entlarven können. Und dessen Spiel wäre ausgewesen, ehe es noch recht begonnen hatte. Nun aber … Ihm nachts nachzustöbern war aussichtslos, er mußte auf den Morgen warten.
Mitternacht war es, als die Feuer ausgetreten wurden und sich alle in ihre Felle oder Decken wickelten und im hohen Gras und weichen Moos einen Schlafplatz suchten. Doch Meinhard konnte nicht einschlafen und suchte durch die Wipfel hindurch die Sterne zu bestimmen. Im Morgenland hatte er vieles von ihnen erfahren. Ob der funkelnde Diamant hoch über ihm die Capella war, die bei den gelehrten Arabern Alhajot hieß, was zu deutsch ›Ziege‹ meinte? Wen nährte sie mit ihrer Milch? Er kam nicht dazu, diese Frage zu klären, denn der Mann neben ihm fing plötzlich an, leise zu beten. Als Meinhard genauer hinhörte, bemerkte er, daß dies auf Hebräisch geschah. Als der Mann wieder schwieg, gab sich Attenweiler einen Ruck und sprach ihn an.
»Ihr seid Jude?«
»Ja.«
»Dann kennt Ihr sicher den Baruch aus Berlin?«
»Ja.«
»Wißt Ihr, wo ich ihn finden kann?«
»Wo wird man einen Juden schon finden?«
Attenweiler sah ein, daß seine Frage nicht sehr klug gestellt war. Aber seine Gedanken kreisten nur um Leah, und mehr war aus dem Mann nicht herauszubekommen.
Als er erwachte, drangen schon die ersten Sonnenstrahlen durch die Kiefernstämme, und bald setzte ein geschäftiges Treiben ein. Zum Frühmahl war Wasser zu holen und das Feuer wieder anzufachen. Vorher aber knieten fast alle nieder, um Andacht zu halten, denn die Zeiten waren zu gefährlich, als daß man auf Gottes Beistand verzichten konnte. Der Domherr sprach das Gebet, und der Dominikaner administrierte ihm. Nur ein paar Reisende hielten sich abseits. Der Jude schnürte still sein Bündel, und die Bürger aus Frankfurt an der Oder waren hinter eine Mauer getreten, denn sie durften wegen des auf ihnen lastenden Interdikts nicht gemeinsam mit den guten Christen beten.
Als das Gebet beendet war, nahm Meinhard Abschied von den Weggefährten. Als Grund gab er an, ihn habe geträumt, daß in Wittenberg große Geschäfte auf ihn warteten. Mit den guten Wünschen der Reisenden im Ohr ritt er zur Lichtung zurück, auf der er gestern dem frommen Pilger aus Jerusalem begegnet war.
Es war ein leichtes, die Richtung zu halten, die Hufe seines Pferdes hatten sich deutlich in Gras und Sand gegraben. Zwei Stunden brauchte er, um die Stelle zu erreichen, an der der Pilger sein Gebet verrichtet hatte. Meinhard sprang vom Pferd und zog seine Karte heraus. Nach Bärwalde hatte der Alte gewollt … Nahm er den Weg über Teltow, Köpenick, Landsberg, Strausberg und Wriezen, dann mochten das bald hundertfünfzig Meilen sein – eine Ewigkeit zu Fuß und Zeit genug, ihn abzufangen. Aber Bärwalde war sicherlich nur eine Finte, ebenso wie er sich den Namen Jäckel nur zugelegt hatte, um seinen großen Auftritt als Waldemar der Auferstandene in aller Ruhe zu planen. Der ließ sich im winzigen Bärwalde, das nicht einmal als Vogtei in seiner Karte eingezeichnet stand, niemals bewerkstelligen, dazu bedurfte es einer großen Stadt und eines Fürstensitzes.
Meinhard setzte sich auf einen Stamm und überlegte. Wo hatte der Pilger aus Jerusalem die größten Aussichten, nicht ausgelacht, sondern mit Jubel empfangen zu werden? Ganz sicher nicht da, wo man die Wittelsbacher im allgemeinen und den Markgrafen Ludwig ganz besonders
Weitere Kostenlose Bücher