Der Letzte Askanier
und ehelosen Jungfrauen zurückgelassen hatten. Jede Begine sorgte durch Handarbeiten für ihren Unterhalt und war bemüht, die gemeinschaftliche Kasse zu füllen, aus der die Gebäude bezahlt und erhalten und Kranke und Pilger verpflegt wurden.
In Berlin gab es die Beginen seit über einem halben Jahrhundert, sie hatten sich aber 1311 in den Schutz der Dominikaner flüchten müssen, als das Konzil zu Vienne die Schwestern des freien Geistes als Ketzerinnen verdammte, weil sie den offiziellen Bettelorden das Wasser abgruben. Hier, neben dem Mönchskloster, hatte Jakob Rehbock Elisabeth getroffen, als er um eine Schüssel Grütze gebeten hatte. In ihrem weißen Gewand, einen Schleier um den Kopf gewunden, war sie ihm wie eine Märchenfee erschienen. Doch mit Blick auf seinen Ring hatte sie anfangs gezögert, ihm die Schüssel zu füllen.
»Zu den Armen gehört Ihr mir nicht …«
»Ihr meint den Ring an meiner Hand?«
»Ja, was sonst.«
»Den kann ich nicht verkaufen, denn nur durch ihn bin ich der, der ich bin.«
»Ihr redet in Rätseln!«
»Pssst! Erkennt Ihr den Mann auf meinem Ring?«
»Das ist der alte Markgraf Waldemar.«
»Habt Ihr nicht gehört, daß er aus dem Heiligen Land zurückgekommen sein soll? Und zwar als Pilger?«
»Dann seid Ihr …!?«
»Pssst!«
Es hatte nur noch weniger Worte bedurft, dann war sie mit ihm westwärts gezogen. Nicht nur, daß sie sehr gläubig war, sie hatte auch ein großes Vorbild: die heilige Elisabeth von Thüringen. Die Tochter des Ungarnkönigs Andreas II. war nach Deutschland gekommen, um auf der Wartburg einen thüringischen Landgrafen zu ehelichen, Ludwig IV. Nach dessen Tod 1227 entsagte sie der Adelswürde und widmete sich fortan als streng asketisch lebende Frau der Armen- und Krankenpflege. Wohl in der stillen Hoffnung, dermaleinst als Markgräfin von Brandenburg, zumindest aber als einflußreiche Frau am Hofe Waldemars den Elenden dieser Welt wirksam helfen zu können, war Elisabeth dem Pilger gefolgt. Wenn ihr der Herr diesen Weg gewiesen hatte, dann war es richtig so.
Jakob Rehbock konnte die Motive derer, die ihm folgten, wohl auseinanderhalten. Die einen glaubten an ihn und seine Berufung, die anderen zweifelten an ihm, die dritten hielten ihn für einen Betrüger, alle aber versprachen sich Vorteile davon, wenn er die Herrschaft über die Mark zurückgewann: Geld, Macht, Einfluß, Rache – oder auch nur Genugtuung. Um seiner selbst willen liebte ihn keiner. Das hatte nur Marquardus in Jerusalem getan. Wie auch immer, er wußte nun, daß er dazu geschaffen war, Jünger zu finden.
So zog er frohen Mutes in Magdeburg ein. Henning von Nienkerken hatte ihm seinen Schimmel überlassen und lief mit den anderen zu Fuß.
Dieses Bild gemahnte Rehbock unwillkürlich an den Einzug Jesu in Jerusalem: Und das Volk jauchzte ihm entgegen und rief: »Hosianna dem Sohne Davids, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höh!« Und man streute ihm Palmen und Blumen auf den Weg. Doch er wehrte sich sofort gegen die Anmaßung: Herr, vergib mir meine Schuld!
Als hätte Henning von Nienkerken seine Gedanken gelesen, begann er zu spotten. »Passen wir nur auf, daß uns die Leute hier in ihrer Liebe nicht erdrücken.«
Die Magdeburger, die noch immer zuhauf die Straßen säumten, weil sie hofften, einen Blick auf die fürstlichen Gäste beim Festmahl Ottos zu erhaschen, suchten sofort Händel mit der kleinen Schar der Brandenburger, deren roten Adler sie nun überhaupt nicht mochten.
»Die Armbrust her«, schrie einer aus der Menge. »Schießt den gerupften Vogel mit dem Bolzen von der Stange.«
»Und das Gerippe auf dem Pferd gleich mit!«
»Das ist Markgraf Waldemar!« verkündete Elisabeth empört und heizte damit den Spott der Magdeburger erst richtig an.
»Ein bißchen klein geraten ist er ja!«
»Kein Wunder, nach dreißig Jahren im Grab, da schrumpft man schon!«
»Ist eigentlich Karneval heute?«
»Das sind doch nur Strauchdiebe, die uns ausplündern wollen. Los, flechtet sie aufs Rad!«
»Schade um das Rad!«
Aber es hagelte nicht nur Spott, sondern auch Dreck. Rehbock, Henning von Nienkerken und Elisabeth duckten sich unter den Erdklumpen und Pferdeäpfeln, die ihnen entgegenflogen, hinter ihnen die neun anderen – Mönche ohne Kloster, Ritter ohne Roß, Bauern ohne Land und Handwerksburschen ohne Zunft. Es war ein armseliger Haufe von Zukurzgekommenen, der sich da anschickte, den Markgrafen Ludwig vom Thron zu stürzen.
Dem Müller
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