Der Letzte Askanier
Rehbock sank der Mut ins Bodenlose. Was hatte er erwartet? Daß die Leute ihm zujubeln würden, ihm, dem Pilger aus Jerusalem, der gekommen war, das Reich Gottes auf Erden zu errichten – und zwar in Brandenburg? Weil er so schnell Anhänger gefunden hatte, war er auf solche Widrigkeiten nicht gefaßt gewesen. Nun aber … Schon hielt er Ausschau nach einer stillen Gasse, durch die er fliehen konnte. Alles schien verloren, bevor es recht begonnen hatte. Offenbar hatte er sich mit seiner Rolle erheblich übernommen, und verzweifelt flüchtete er sich in ein Stoßgebet: Herr Gott, mein Heiland, ich schreie zu dir, denn meine Seele ist voll des Jammers, und mein Leben ist nahe dem Tode. Was soll ich tun? Ich flehe dich an, o Herr, gib mir ein Zeichen!
Doch nichts geschah. Weder stieß ihn jemand vom Pferd, was ja auch ein Fingerzeig gewesen wäre, noch trat jemand vor, der die Magdeburger zur Vernunft brachte oder gar umstimmte.
»Ich hätte mir vorher den Hals waschen sollen«, sagte Henning von Nienkerken.
»Wieso?« fragte einer neben ihm, der Zorre hieß.
»Mit dreckigem Hals gehängt zu werden, bringt dir im Paradies nur schlechte Plätze ein.«
Elisabeth, die Begine, sah ihn tadelnd an. »Tue von dir den verkehrten Mund und laß das Lästermaul ferne von dir sein.«
Henning von Nienkerken lachte. »Besser ich ersticke am Strick um den Hals als am Ernst des Lebens.«
Rehbock nahm das Geplänkel zu seinen Füßen gar nicht mehr wahr. Vor seinen Augen lag die Grabeskirche, und auf dem Platz davor flimmerte die Sonne. Und durch dieses gleißende Licht lief ein Mann mit wehendem Mantel, der immerzu rief: »Ich bin Sultan Saladin, ich bin Sultan Saladin, öffnet mir die Tore!« – bis ihn die Wachen gepackt und in einen Keller geworfen hatten. So kam er sich jetzt vor: wie ein Irrer, der durch Magdeburg ritt und pausenlos rief: »Ich bin Markgraf Waldemar, ich bin Markgraf Waldemar!«
Er brachte das Pferd zum Stehen und beugte sich zu seinem Ritter hinunter. »Laß es uns woanders versuchen, nicht hier.«
Henning von Nienkerken zuckte die Schultern. »Nur in Magdeburg hat es Sinn, denn der Erzbischof steckt so eng mit den Anhaltinern zusammen, daß sie's mit dir wagen werden.«
»Und Rudolf von Sachsen? Wollen wir nicht lieber nach Wittenberg hinüber?«
»Hier oder nirgends!«
Rehbock sandte ein weiteres Stoßgebet zum Himmel und flehte um ein Zeichen Gottes, einen Blitz oder nur eine besondere Wolke. Doch nichts geschah, und er fühlte sich verlassener denn je.
Elisabeth mußte seine Qualen fühlen, denn sie ergriff seine herabhängende Rechte, um ihre Lippen auf seinen Handrücken zu pressen. »Wage es um meinetwillen und der armen Menschen hier. Der Himmel mag dir deine Sünden all verziehen haben, die Leute in der Mark, die tun es aber nur, wenn du zurückkehrst und ihr Land hinausführst aus dem tiefen Elend, das entstanden ist, weil du gegangen bist und sie im Stiche ließest.«
Das wirkte stark, und er konnte nun nichts anderes tun, als weiterzureiten in Richtung des Palastes.
»Noch ein guter Rat«, flüsterte Henning von Nienkerken ihm zu. »Sag dem Posten nicht, daß du als Markgraf Waldemar kommst, weil er dich dann sofort hinaus zum Stadttor jagt, sondern sag ihm, daß ein armer Pilger aus Jerusalem gekommen ist, der um den Segen des Erzbischofs bittet. Und geh zu Fuß, auf einen Stab gestützt.«
»Danke, ja.« Rehbock sah ein, daß der Berater recht hatte, stieg vom Pferd, drückte ihm das Banner mit dem roten Adler in die Hand und ließ sich von der Begine einen Wanderstab geben.
So, als armer Pilgrim, trat er auf den Posten zu und bat, zum Erzbischof vorgeladen zu werden, jetzt von der Menge mit Jauchzen begleitet. Und viele Frauen und Kinder gafften ihn mit Ehrfurcht an.
»Warte!« Der Posten lief zum Hauptmann der Leibwache, der ein Stückchen weiter in der Sonne stand und wartete, daß man ihm die Reste von der Festtafel brachte.
»Was ist!?« hörte Rehbock ihn schnauzen.
»Der alte Pilger da, der sagt, er komme aus dem Gelobten Land nach Magdeburg und möchte zu Seiner Gnaden.«
»Das sagen viele, daß sie in Jerusalem waren – und kommen nicht mal bis München hinunter. Soll er es ein andermal versuchen: Heute ist das große Fest, da wird nicht gebettelt. Also scheuch ihn fort!«
Das wäre auch geschehen, wenn nicht in diesem Augenblick der Oberkämmerer des Erzbischofs vorbeigekommen wäre. Er hatte, voll des süßen Weins und all der fetten Speisen, brechen müssen,
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