Der Letzte Askanier
selbst blickte er zum Portal zurück, wo Henning von Nienkerken wartete und ihm aufmunternd zunickte. In den letzten Tagen hatten sie seinen Auftritt mehrfach, aber nur mit kümmerlichem Erfolg geübt. Nicht nur, daß ein Müller anders als ein Edelmann sprach; die drei Jahrzehnte im Morgenland hatten ihn seiner Muttersprache sehr entfremdet. Nun war es also doch gegangen. Mochte ihn sein Schutzengel nicht im Stich lassen, wenn er Erzbischof Otto in die Augen schauen mußte!
Immerhin, er leerte den Becher wie ein Hochgeborener und nicht wie ein armer Mann, dem solche Gunst selten zuteil ward. Wenn ihm auch die Hände zitterten, goß er das edle Naß nicht gierig hinunter, und er ließ auch keinen schmatzenden Laut des Wohlbehagens hören, als er fertig war.
Rehbock reichte dem Kämmerer den leeren Becher. Nun kam der Augenblick, der alles entschied. Seine Stimme klang wieder dünn und gepreßt: »Sag deinem Herrn Dank … und ob er mich nicht …?«
Barsch war die Antwort. »Nein. Der ehrwürdige Herr ist anderweitig beschäftigt und kann dich nicht empfangen.«
Rehbock stand hilflos da. Dann eben nicht. Ich muß ja nicht der Waldemar sein, ich kann auch als Müllergehilfe mein Gnadenbrot essen oder ins Kloster gehen. Er wünschte sich in die Trümmer seiner Mühle zurück. Da lagen noch genügend Steine für eine kleine Hütte herum. Dort konnte er dann beten, bis ihn der Tod erlöste. Er wandte sich ab, um den Palast als Jakob Rehbock zu verlassen.
Da stürzte Henning von Nienkerken auf ihn zu, zog ihm den Ring vom Finger, warf ihn in den Becher und herrschte den Oberkämmerer an: »Bring diesen Becher deinem Herrn, aber ohne jeden Verzug. Sonst …! Und nimm nicht heraus, was drinnen ist, denn dies ist nicht für dein Auge bestimmt!« Er stieß den verdutzten Hofbeamten mit solcher Wucht in den Saal hinein, daß der Schwung bis zum Tisch des Bischofs reichte.
Während Rehbock noch erstarrt im Vorraum stand und nicht so recht fassen konnte, wie ihm geschah, sank Elisabeth vor einem der Marienbilder nieder und betete mit lauter Stimme. »Oh, du gebenedeite Himmelskönigin! Erbarme du dich der Schwachen und Elenden. Erbarme dich aber auch derer, die das Rechte wollen und meinen, Gutes zu tun, aber in ihrer Schwäche verzagen wollen. Gib ihnen die Kraft, den rechten Weg zu gehen. Führe sie und hilf ihnen, wenn sie irren. Erbarme dich der Gedrückten und Gepreßten, des armen Volkes, das zittert und bebt vor den Gewaltigen, und wecke ihm den Erretter, der bis hierher schon gekommen ist, nun aber erschrickt vor der gewaltigen Last, die er zu tragen haben wird. Schau auf ihn, du gebenedeite Fürbitterin, auf daß er die Kraft finde, sein Werk zu vollenden, das doch nur das Werk des Herrn ist.«
Damit stand sie auf, nahm Rehbock an die Hand und führte ihn in den Saal, wo inzwischen ein Possenreißer die Gäste zu erheitern suchte.
Für Rehbock war das alles wie ein Traum, aus dem er schnell erwachen wollte. Nicht einmal zu beten vermochte er noch. Willenlos ließ er alles mit sich geschehen.
Vorn an der Tafel kniete der Kämmerer und hielt dem Erzbischof den Becher hin. »Hoher Herr, ich tat, wie Ihr geheißen. Der Pilger trank aus ihm und bat mich, Euch den Pokal zurückzureichen.«
Ungnädig sprach der Erzbischof beiseite. »Was soll ich mit dem leeren Gefäß? Gib es dem Mundschenk, das ist sein Amt.«
»Der Becher ist nicht leer, Herr. Nur Fürsten dürften sehen, was in ihm liegt.«
Ottos Ärger wuchs. »Bist du auch ein Possenreißer geworden!?«
»Nein …«
»Dann hol gefälligst selber heraus, was drinnen ist!«
Der Kämmerer brachte Rehbocks Ring zutage.
»Mein Gott!« Der Erzbischof sprang auf. »Wer gab dir diesen Ring?«
Der Kämmerer erschrak, denn so verwirrt hatte er seinen Herrn noch nie gesehen. »Hochwürdigster, dieser Pilger dort!«
»Hilf mir, Sankt Moritz!« rief der Erzbischof. »Der Markgraf von Brandenburg lebt! Das ist Waldemars Ring! Sein Siegelring, den er nimmer vom Finger nahm!« Er beugte sich zu seinen Nachbarn hinüber. »Ihr, seine Vettern, müßt es mir bezeugen!«
Zugleich griffen der Sachsenherzog und der Graf von Anhalt nach dem Ring.
»Das ist er!« stieß Rudolf hervor, aber der Erzbischof gab auf sein Urteil nicht viel, denn der Sachse war schon arg betrunken.
Der Graf von Anhalt ließ sich Zeit mit seinem Urteil und wendete den Ring hin und her.
Rehbock war näher herangetreten. Zwei Möglichkeiten gab es nur: Entweder sie stellten fest, daß er ein
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