Der Letzte Askanier
Eide.«
»Wir hören …«, knurrte Erzbischof Otto.
»Es war ein Possenreißer in jener selben Nacht gestorben, ein unbekannter Mann. Den trug mein Diener in mein Bett, den bedeckte morgens mit dem Leichentuch der getreue Arzt, um den klagten die Frauen und weinte das Gesinde, um den läuteten die Trauerglocken durch das Land Brandenburg, um den zerriß das Volk seine Kleider, und den trugen seine Edlen auf ihren Schultern nach Chorin – und die Mönche senkten ihn in die Fürstengruft. Ich aber, der wahre Waldemar, pilgerte über verborgene Pfade gen Venedig, wo ein Schiff mich hinübertrug ins Heilige Land.«
»Dafür liefert mir Beweise!« rief der Erzbischof.
Rehbock erschrak und wurde bleich wie Mehlsuppe. Zu seinem großen Erstaunen aber erhob ein Mann die Hand, von dem er durch ein Raunen in der Menge hörte, daß es der Dechant Bruno aus der Stadt Brandenburg sei.
»Hoher Herr, ich bitte darum, daß Ihr mich eines Zeugnisses würdigt.«
Henning von Nienkerken mußte heimlich schmunzeln, denn alle Eingeweihten wußten, daß dieser Schlappschwanz eine Marionette der Gräfin Matilde war, die auch ganz in seiner Nähe stand. Und daß die alles daransetzen würde, Rehbock zum echten Waldemar zu machen, dafür hätte er seinen Kopf verwettet. Sie hätte es auch getan, wenn sich der alte Markgraf und Jakob Rehbock nicht in der Tat sehr ähnlich gewesen wären, zumindest, was Alter und Statur betraf, sondern er ihr hier in Magdeburg dreist einen Mohren von zwanzig Jahren vorgeführt hätte. Ihre Gründe waren klar: Nicht nur, daß sie Ludwig haßte, sie versprach sich auch von Waldemars Wiedereinsetzung erheblichen Machtgewinn, Land und Geld für sich und die Ruppiner Grafen.
Während ihm dies durch den Kopf ging, hatte der Erzbischof dem feisten Dechanten die Erlaubnis zum Reden erteilt.
»Ich weiß es von meinem Vater, der ein treuer Vasall Waldemars gewesen ist«, hub er an.
»Was wißt Ihr?«
»Daß … Nun, als mein Vater das teure Antlitz seines toten Herren noch einmal sehen wollte, da ließ der Arzt ein solches nicht zu. Zu entstellt sei das Gesicht vom Todeskampfe, sagte Meister Hildebrand zu ihm. Es hat ihn niemand gesehen.«
»Ja, so ist es gewesen!« rief die Gräfin Matilde, und die älteren Brandenburger im Saal stimmten ihr zu.
»So wird der Arzt Zeugnis ablegen«, befand der Erzbischof nun.
»Der steht seit fünfzehn Jahren vor einem höheren Richterstuhl«, beschied ihn die Gräfin.
»Das reicht!« rief Otto aus, sichtlich ungehalten, und wandte sich wieder zu Rehbock hin. »Pilger, auf welchen Heiligenschrein willst du's beeiden, daß der Possenreißer damals gestorben ist?«
Das konnte Rehbock nicht in Verlegenheit bringen. »Beim wahrhaftigen Schweißtuch der heiligen Veronika – er starb.«
»Und Waldemar lebt!« rief die Gräfin Matilde.
Der halbe Saal stimmte ein, einige Frauen weinten sogar. Ein paar Ritter wollten nach vorne stürzen, um den Pilger auf die Schultern zu heben.
Nur Rehbock und der Erzbischof bewegten sich nicht, standen da wie steinerne Säulen und maßen sich mit Blicken.
Henning von Nienkerken ahnte, was im Kopf des Erzbischofs vor sich ging: ein gewaltiges Rechnen, welche Vor- und Nachteile es ihm brachte, wenn er dem Pilger sozusagen die erste Weihe gab. Sicher, das letzte Wort hatte der König, und ohne die Unterstützung der Städte lief ebenfalls nichts, aber seine Entscheidung war die wichtigste. Warf er den Pilger aus dem Saal, war für den schon alles verloren, mit seinem Segen aber hatte er gute Chancen, Ludwig hinauszuwerfen und die Askanier beziehungsweise Anhaltiner wieder zu den Herren der Mark zu machen.
Endlich hob der Erzbischof den Arm und gebot Ruhe. »Freunde, mein Richteramt ist schwer … Folgte ich – wie ihr – der Stimme hier in meiner Brust, ich breitete die Arme aus und riefe voller Ehrfurcht: ›An mein Herz, großer Markgraf!‹ Doch ich stehe hier nicht als der Landgraf Otto von Hessen, sondern als Fürst des Reiches – und ihm wie dem Kaiser schulde ich strenge Rechenschaft.«
Viele murrten, und die Gräfin Matilde versuchte mit Unterstützung ihres Dechanten, die Leute gegen Otto aufzustacheln. Doch der Pilger bat um Ruhe. »Ein Glück für das Reich, daß es noch solche Fürsten hat, die unbestechlich sind. Wohl schulde ich Euch Rechenschaft, denn mit Recht fragt Ihr: Was kommt einer zurück nach beinah dreißig Jahren und will die Erbschaft, die sein nicht mehr ist?«
Der Erzbischof legte ihm die Hand auf
Weitere Kostenlose Bücher