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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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falls
ja: Wo steckten sie? Außer dem Butler war keine Menschenseele zu sehen. Dieser
führte ihn nun durch einen langen Flur, alle schnörkellos weiß gestrichenen
Türen, die davon abgingen, waren geschlossen. Wo um alles in der Welt führte
ihn der Bedienstete bloß hin?
    Am Ende des Ganges entdeckte Bietigheim eine Glastür, die in den
Garten führte. Und damit auf einen anderen Kontinent. Denn dieser Garten war so
wenig englisch wie ein Samuraischwert. Er war japanisch. In der Mitte des
kleinen Areals stand ein aus Holz und Bambus erbautes Teehaus, das, wie es sich
gehörte, von einem Wasserbecken umgeben war. Zu ihm führte ein Roji, ein »taubedeckter
Pfad«, der nie in gerader Linie verlaufen durfte und für die erste Stufe der
Erleuchtung stand, in welcher der Alltag abgestreift wurde. Ein weiterer,
kleiner Roji führte zu einem Teepavillon in Hundegröße. Der Butler geleitete
Benno dorthin – dieser folgte ihm tatsächlich und nahm sogar im Inneren Platz.
Was an dem unglaublich großen, leckeren Knochen liegen konnte, der dort für ihn
bereitlag.
    Vermutlich stilecht vom Kobe-Rind.
    Der Professor ging zum Eingang des größeren Pavillons: einer rund
einen Meter hohen Schiebetür mit dünnen Streifen aus Zedernholz und
durchscheinendem Japanpapier. Gehend gelangte man nicht hindurch – Bietigheim
musste auf die Knie. Der Boden der beiden niedrigen Räume war mit Tatamimatten
bedeckt, auch hier gab es keine Möbel, sondern nur ein kleines Blumengesteck in
einer Nische. In der Mitte des einen Raums befand sich eine Grube für ein Feuer
aus Holzkohlen. Dame Julia Wenbosca erwärmte darauf gerade Teewasser in einem
eisernen Kessel. Sie trug einen Kimono und hatte die traditionelle japanische
Sitzhaltung eingenommen: kniend auf den Fersen, den Spann der Füße auf dem
Boden, rechte über linke große Zehe, den Rücken gerade. Bietigheim schloss, wie
es sich gehörte, leise die Schiebetür hinter sich.
    Normalerweise gab es einen Teil der Teezeremonie, der sich in einem
Warteraum abspielte und bei dem man unter anderem Mund und Hände wusch – doch
hier ging es gleich zur Sache. Auch die sonst üblichen leichten Speisen und der
obligatorische Reiswein blieben dem Professor erspart. Dame Wenbosca
konzentrierte sich auf den Tee. Das sparte Zeit, denn nach den Speisen ging es
sonst wieder hinaus aus dem Teepavillon, und erst nachdem der Gong fünfmal
schlug, durfte man wieder hinein.
    Bietigheim fand es schön, so etwas einmal mitgemacht zu haben. Aber
wenn man Durst litt, war es die Hölle. Natürlich ging es bei der Teezeremonie
nicht um Durst, sondern um die wichtigen Säulen des Zen: Einfachheit, Ruhe,
Bescheidenheit sollten versinnbildlicht und gefördert werden. Der Tee war nur
Beiwerk.
    Neben Dame Wenbosca standen die Teeutensilien, welche so angeordnet
waren, dass die Zubereitung eine einzige fließende Bewegung sein würde. Höchste
Harmonie.
    Die Dose für den Matcha-Tee, die Teeschale, ein Gefäß für frisches
Wasser, ein Löffel aus Bambus, ein Teebesen und am Gürtel des Kimonos das
seidene, lilafarbene Teetuch. Was folgte, war ein hochkomplizierter Tanz der
Hände, der Utensilien und des Tees nach genau festgelegtem Muster. Seit
Jahrhunderten war festgelegt, was wann wie und wo hingehörte.
    Dame Julia Wenbosca beherrschte den Tanz perfekt.
    Schließlich sagte sie: »Dōzo_ okashi o«, Bietigheim sollte also zu
den Süßigkeiten greifen. Dabei war sein Mund mittlerweile trockener als die
Wüste Gobi. Doch es dauerte immer noch, bis er endlich etwas zu trinken bekam.
Der Tee, welcher aussah wie dickflüssige, pürierte Erbsensuppe, wurde mit dem
Bambusbesen schaumig geschlagen, erst dann reichte ihm die Gastgeberin die
Teeschale, die er annahm und sich dabei pflichtbewusst verbeugte. Jetzt endlich
durfte er ihn schlürfen! Und reden. Wenn auch nur über Tee. Eigentlich
zumindest. Nun ja, dann würde er das Eis mal mit etwas teehaltiger Konversation
brechen. »Die ostfriesische Teezeremonie ist ja bedeutend überschaubarer. Mit
der Kluntjezange befördert man Kluntje aus dem Kluntjepott in die Tasse – was
allerdings erst nach langen Jahren ohne Unfälle gelingt. Liegt in allen Tassen
ein Kluntje, wird der Tee eingegossen, der mindestens fünf Minuten gezogen hat.
Nur wenn der Kandis knackt, ist der Tee heiß genug. Und Obacht: nicht zu

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