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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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panisch
hingerannt waren, aber ich habe selber seine Fertigstellung überwacht. Es war
brillant. Wie Ihr ganzes Menü. Mir selbst hat die Essenz am besten gefallen. Es
war zwar kein offizieller Wettkampf, aber Sie haben trotzdem gewonnen.«
    Er begann zu klatschen – und die vielen Küchenhelfer fielen johlend
mit ein. Er musste jedem von ihnen die Hand schütteln.
    Dann nahm Clifford den Professor beiseite und sprach leiser. »Und
keiner hat es gemerkt.«
    Â»Was meinen Sie damit?«
    Â»Na, Ihr kleines Geheimnis«, er knuffte Bietigheim in die Brust. »Dass
der Schwan gar kein Schwan war, sondern …?«
    Â» Was? Der Schwan soll kein Schwan gewesen
sein? Un-ge-heuer-liche Unterstellung! Um so einen Geschmack hinzubekommen,
hätte ich ja Truthahn in Entengrütze marinieren müssen.«
    Â»Das wäre in der Tat raffiniert gewesen. Was hätten Sie denn mit dem
Schwan gemacht, den Sie eingefangen haben?«
    Â»Wohl freigelassen. Weil ich es einfach nicht über das Herz gebracht
hätte, ihm den Hals umzudrehen. Vielleicht, weil er so herzzerreißend gefaucht
hat.«
    Â»Und woher würden dann die Schwanenfedern stammen?«
    Â»Da gäbe es viele Möglichkeiten. Zum Beispiel von meinem guten
Freund, dem Leiter des Zoologischen Museums Hamburg. Alles natürlich rein
hypothetisch.«
    Â»Selbstverständlich.« Clifford goss ihnen einen extrem seltenen
1955er Vintage Portwein ein. »Nur für besondere Anlässe.« Er stieß mit
Bietigheim an. »Wir haben heute übrigens noch einen Gast verköstigt – oder
besser gesagt: zwei.«
    Â»Ach.«
    Â»Zuerst traf die fehlende Dame der norddeutschen Teegesellschaft
ein. Sie war ganz enttäuscht, als ich ihr mitteilen musste, das Sie nicht da
sind.«
    Er hatte die Göttliche verpasst!
    Â»Und dann, nachdem das Dessert abgeräumt war, erhielten wir einen
Anruf.« Clifford schüttelte den Kopf, als könnte er es selber noch nicht
glauben. »Aus dem Buckingham Palace. Der Privatsekretär der Queen. Ihre
Majestät habe von Ihrem unglaublichen Schwanenmenü gehört und wünsche
Kostproben eines jeden Gangs. Keinen Schimmer, wie sie so schnell davon
erfahren hat.«
    Â»Ich habe die Göttliche verpasst«, sagte Bietigheim erschüttert.
Und: »Girsanov-Theorem.«
    Es dauerte eine Weile, bis der Professor sich wieder erholt hatte.
Die frische Luft auf dem Deck der »God Save The Queen« und der angenehm
gleichmäßig graue Himmel trugen ihren Teil dazu bei. Bei diesem Wetter wusste
man nicht, ob es Morgen, Mittag oder Abend war. Es war ein Grau, das man als
Himmel zu jeder Tageszeit gut tragen konnte.
    Als ein zufrieden und ein wenig debil dreinblickender Pit
auftauchte, war Bietigheim wieder so weit, dass er eine weitere Einladung
persönlich zustellen konnte. Mittels eines Telefonats fand er heraus, dass Dame
Julia Wenbosca zur Zeit nicht auf ihrer Teeplantage in Cornwall weilte, sondern
im Stadthaus der Familie im edlen Londoner Wohnviertel Mayfair.
    Pit durfte ihn dorthin kutschieren. Zu Beginn der Fahrt schmetterte
dieser ein Lied über unsterbliche Liebe oder unausstehliche Liebe, so genau war
sein Geknödel nicht zu verstehen, weswegen Bietigheim umgehend das Radio
anstellte. Pits guter Stimmung tat das keinen Abbruch. Benno schlief derweil
auf dem Rücksitz, erschöpft vom Stechkahn-Rennen.
    Als Pit schließlich vor dem Haus der Wenboscas parkte, war
Bietigheim ein wenig enttäuscht. Bei solch einer begüterten Familie hatte er
etwas Prachtvolles erwartet – doch es handelte sich um einen Neubau, der
ausgesprochen hässlich ins georgianische Architekturensemble hineingepflockt
war. Und die Wenboscas bewohnten sogar nur das Erdgeschoss. Vielleicht ging es
ihnen finanziell schlechter als gedacht.
    Bietigheim hatte einen Termin und wartete deshalb eine halbe Stunde
im Wagen, bis die korrekte Zeit gekommen war. Dann schlug er eine akademische
Viertelstunde obendrauf.
    Nachdem er schließlich geklingelt hatte, erschien ein livrierter
Butler. Immerhin.
    Die Wohnung war schlicht eingerichtet. Um der Wahrheit Genüge zu
tun: Sie war leer. Die Wände weiß gekalkt, keine Schränke, Garderoben,
Anrichten oder Bilder. Dass die Räume bewohnt wurden, war nur an den teuren
Lampen zu erahnen und an einem massiven Esstisch mit vier Stühlen, den
Bietigheim in einem großen Nebenraum erspähte. Lebten hier Spartaner? Und

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