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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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voll
gießen! Die Spitze des Kluntje muss herausragen. Dann kommt der Rohmlepel, also
der Sahnelöffel, zum Einsatz und lässt diese Spitze in einem weißen Meer
untergehen. Ein wundervoller Anblick. Dabei ganz wichtig: nicht rühren, selbst
wenn ein Löffel bereitliegt. Dadurch genießt man den Tee zuerst sanft, dann
bitter und im Abgang zuckersüß. Ein Sprichwort heißt: ›Dree is Oostfresen
Recht<. Das bedeutet: Drei Tassen sind erlaubt. Danach legt man den nicht
benutzten Löffel in die Teetasse. Sie sehen: Alles ganz einfach.« Er blickte in
ein fassungsloses Gesicht. »Wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie die
japanische Zeremonie. Sie haben das übrigens fabelhaft gemacht. Ganz fabelhaft.
Vielen herzlichen Dank dafür, ich empfinde es wirklich als große Ehre. Das
möchte ich zum Ausdruck bringen!«
    Hatte er jetzt zu dick aufgetragen?
    Nein, die Härte in Dame Wenboscas Augen war verschwunden. Wenn auch
nicht gänzlich. »Sie wollten mich dringend sprechen. Gibt es etwa schlechte
Neuigkeiten zum Forschungsprojekt auf unserer Plantage? Sie müssen es mir nicht
schonend beibringen, ich kann einiges vertragen. Ich bin jetzt ganz entspannt.
Die Teezeremonie wirkt auf mich wie ein einwöchiger Urlaub. Deshalb wollte ich
sie durchführen, bevor Sie mir die schlechte Nachricht überbringen.«
    Der Professor hätte ihr am liebsten die Hand getätschelt. Er hatte
gar nicht darüber nachgedacht, was sie hinter seinem dringenden Gesprächswunsch
vermuten mochte.
    Â»Nein, nichts dergleichen. Es geht um etwas völlig anderes.« Er sah,
wie sich ihre Gesichtszüge weiter entspannten. »Ich habe endlich Jonathan
Cleesewoods geheime Forschungsarbeit gefunden, die, wie sich herausgestellt
hat, von unglaublichem Wert ist. Sie war mit einem Passwort geschützt. Ich habe
extra eine Spezialistin aus Deutschland einfliegen lassen, um es zu knacken.
Haben Sie eine Ahnung, welches Passwort er gewählt haben könnte?«
    Â»Ich weiß nicht, vielleicht den Namen des Getränks, das er am
meisten liebte? Es war der Mi Yun Nostalgia, ein Tee wie vor hundert Jahren –
honigsüß und vollkommen, die pure Harmonie.«
    Der Professor nahm mit aller Gelassenheit einen Schluck seines Tees.
Es lief alles gerade so schön nach Plan. »Mit Liebe, so vermute ich, hat die
Wahl des Passworts tatsächlich etwas zu tun. Und dass er dabei an honigsüße
Vollkommenheit wie auch pure Harmonie dachte, will ich nicht ausschließen.« Er
machte eine theatralische Pause und beugte sich vor, um Dame Wenbosca in die
Augen blicken zu können. »Das Passwort war ein Name. Der Name einer Frau.« Noch
eine Pause. »Es war Ihr Name.«
    Jetzt würde sie alles abstreiten und Ausflüchte suchen. Bietigheim
war fest entschlossen, sie festzunageln!
    Doch ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, wie ein Sonnenaufgang,
auch wenn unübersehbar einige Wolken den vollen, warmen Glanz verhinderten. »Ein
letztes Kompliment von ihm. Wie schön.« Sie strich ihren Kimono glatt. »Es war
Liebe zwischen Jonathan und mir, Professor. Ich habe nicht mit dieser Liebe
gerechnet, ich habe sie nicht gesucht, sie war plötzlich da. Zuerst habe ich
mich gewehrt, aber das war sinnlos. Sie hat einen Sog entwickelt, ich war
hilflos, wir waren beide hilflos. Ich sehe Ihren Blick. Sie können nicht
glauben, dass er und ich … weil wir so verschieden sind. Ich eine Dame der High
Society, modebewusst, reich, er ein linkischer, schlaksiger, chaotischer
Wissenschaftler, noch dazu schüchtern, ja geradezu verhuscht. Aber es gab ein
Band zwischen uns, von Anfang an, und es ist wie eine Pflanze gewachsen, von
ganz allein. Es hatte nichts Schmutziges, wie Sie jetzt vielleicht in Ihrem ach
so klugen Professorenkopf denken, unsere Liebe war rein. Ich kann es nicht
anders erklären. Sie war echt, sie war wahr, verstehen Sie?«
    Nun war Bietigheim auch klar, wohin sie vor einigen Tagen den Strauß
langstieliger, roter Rosen gebracht hatte: Zum Grab Jonathan Cleesewoods. »Ihr
Mann …?«
    Â»Sie meinen, er hätte es herausgefunden und Jonathan getötet?«
    Bietigheim nickte. »Ein denkbares Szenario.«
    Â»Nein. Und dieses Nein muss ich nicht weiter erklären.
Diesbezügliche Fragen werde ich nicht beantworten.«
    Bietigheim spürte, dass sie jedes Wort über die Beziehung zu
Jonathan Cleesewood ehrlich meinte. Doch

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