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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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meines Proseminars ›Tee, Tea,
Chai‹. Das wird durchgearbeitet. Ich muss ins Leichenschauhaus.«
    Pit baute sich vor ihm auf. »So schlimm sehen Sie doch noch gar
nicht aus!« Er boxte ihn gegen die Brust. »Nee, Spaß beiseite. Erst sollten Sie
noch was essen. So blass wie Sie sind, behalten die Sie sonst gleich da!«
    Er lachte schallend. Die Nachbarn würden es sicher mitbekommen. Die
Nachbarn in der Parallelstraße.
    Trotzdem musste Bietigheim seinem Untermieter recht geben. Ein
leerer Bauch studierte schließlich nicht gern. Und vor dem Betrachten von
Leichen war eine ordentliche Grundlage Pflicht. Der Professor würde es niemals
zugeben, doch ihm war jetzt schon schummrig.
    Auf dem Weg steckte der Professor seine Hände in die Taschen seines
Kaschmirmantels – und bemerkte plötzlich den Umschlag, den ihm am Vortag der
Student zugesteckt hatte. Das Schreiben von der Port Wine Society. Er holte es
hervor – und hielt es sich vor die Nase. Das roch doch nach … ja, aber sicher … nach
Stilton! Dem berühmten englischen Blauschimmelkäse, welcher so hervorragend zu
süßem Portwein passte. Traditionell löffelte man eine Vertiefung in den
Käselaib, goss Portwein hinein und verrührte diesen mit dem cremigen Stilton zu
einer Paste. Gegessen wurde das köstliche Gemisch dann mit Crackern.
    Der Professor roch intensiv am Papier. Es war guter Stilton gewesen,
keine Frage, diese Society hatte Stil. Er öffnete den Umschlag. Es war eine
Anfrage für einen Vortrag über französische Blauschimmelkäse, die zu Portwein
passten.
    Das machte ihn wütend. Seit wann gab er Privatvorlesungen? Sollten
sie sich doch für ein Kulinaristikstudium einschreiben! Und dann diese
merkwürdige Form der Übergabe. Von Angesicht zu Angesicht, so bettelte man,
wenn sein grandioser Intellekt gewünscht war.
    Er warf den Brief in den nächsten Mülleimer.
    Und entdeckte dabei einen Studenten in Tweed, der gut dreißig Meter
hinter ihm verharrte. Dieser hatte jedoch blondes Haar. Bietigheim ging weiter,
blieb dann abrupt stehen und blickte sich schnell wieder um. Er war immer noch
hinter ihm, im selben Abstand, und wieder bewegte er sich nicht. Gerade als
Bietigheim beschloss, auf ihn zuzugehen, lief er davon.
    Kurz überlegte der Professor, Benno hinterherzuschicken, sah dann
jedoch davon ab. Denn Benno tat sowieso nie, was man von ihm wollte. Statt des
Tweed-Trägers würde er vermutlich den nächsten Bus verfolgen, ihn zur Strecke
bringen und abnagen.
    Die Gerichtsmedizin befand sich in der Tennis Court Street. Von
außen sah sie edel aus wie ein Gentlemenʼs Club, als säßen darin Herren in
Anzügen, rauchten Pfeife und tränken feinsten Whisky. Der Professor gelangte
problemlos ins Innere, indem er angab, einen Termin mit Dr. Cumberland zu haben – was keineswegs der Fall war. Doch Bietigheim legte eine solche
Selbstverständlichkeit und Arroganz an den Tag, dass an der Anmeldung niemand
seine Aussage bezweifelte. Selbst die Mitnahme von Benno wurde nicht
kommentiert. Was daran liegen mochte, dass Bietigheim ihn unter seinem Mantel
versteckt hielt.
    Cumberland trennte gerade mit einer Knochensäge den Kopf von einem
toten Körper, als Bietigheim eintrat. Dieser hatte zwar mit Leichen gerechnet,
aber nicht mit so vielen und nicht mit so toten. Natürlich waren eigentlich
alle Toten gleich tot, doch diese hier hatten das gewisse Etwas.
Vorsichtshalber hielt er sich ein mit seinen Initialen besticktes
Seidentaschentuch vor Mund und Nase. Der Tod war zwar nicht ansteckend, aber
man wusste ja nie.
    Aus einem Ghettoblaster dröhnte Rockabilly-Musik, und Kollege
Cumberland trug nicht nur eine Buddy-Holly-Brille, sondern auch noch ein gelbes
Hawaiihemd, knielange Shorts und schwarz-weiß karierte Schuhe. Seine Haare
waren stilecht mit Pomade nach hinten gelegt, und er schien bester Laune. Ja,
Cumberland tanzte regelrecht um die Leiche.
    Bietigheim räusperte sich. Er hatte schon von diesem Mann gehört:
einer der modernen Gerichtsmediziner, der sogar Bücher über seine Arbeit
schrieb und in seiner Freizeit Theater spielte – mit Vorliebe Geisteskranke und
Serienkiller.
    Dieser Mann hielt nun eine Knochensäge in der Hand. Und in der
anderen ein Sandwich. Hoffentlich verwechselte er sie nicht.
    Bietigheim näherte sich einige Schritte, blieb dann jedoch in
sicherer Entfernung stehen, und

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