Der letzte Aufguss
auch Seppuku. Es war im Jahr 1551,
und er war siebzigjährig. Allerdings wurde er von Taiko Hideyoshi zum
Selbstmord gezwungen.«
»Das gilt dann nicht!« Cumberland schüttelte den Kopf und zog einer
seiner Leichen das weiÃe Leintuch vom Kopf. »Das hier ist ein Selbstmord,
lassen Sie uns doch gleich mal nachschauen.« Er schlitzte mit dem Skalpell die
Bauchhöhle des Mannes auf. Dann erst fiel ihm ein, dass er Gummihandschuhe
anziehen sollte. Nach weiteren Schnitten hielt er etwas glibberig WeiÃes von
körniger Struktur in der Hand: »Porridge, Sie nennen das in Deutschland
Haferschleim, glaube ich.« Er sah auf. »Vielleicht hat er seinen Morgen ganz
normal verbracht und wie immer Porridge gelöffelt, bevor ihm die Idee kam, sich
das Leben zu nehmen. Oder das war sein Lieblingsgericht.«
»Was noch trauriger wäre.« Porridge, fand der Professor, war eine
nahrhafte Mahlzeit, aber sollte einfach nicht der Höhepunkt der kulinarischen
Erfahrungen sein. Trotzdem sah er sich den Mageninhalt genauer an. Was tat man
nicht alles für eine überzeugende Tarnung?
Cumberland nickte wohlwollend. »Hier in GroÃbritannien war
Selbstmord bis 1961 noch eine Straftat, weil die Krone dadurch einen Untertan
verlor.« Er grinste. »Echt wahr. Damals waren wir noch eine ordentliche
Monarchie!«
»God save the Queen«, sagte Bietigheim, der schon immer etwas für
die Monarchie übrig gehabt hatte.
Cumberland musterte ihn lange. »Ich mag Sie, Professor. Aber Sie
sitzen auf einem Schleudersitz.«
»Das ist mir bewusst. Doch noch fühle ich mich ganz wohl. Ich muss
nur darauf achten, dass mir niemand Tee in den Mund drückt, bis ich ersticke.«
»Cleesewood ist nicht erstickt.«
»Aber in der Zeitung stand, man habe in seinem Mund â¦Â«
»Ja, natürlich stand das in der Zeitung, aber nichts darüber, wie
genau er gestorben ist. Man will sich ja nicht blamieren.«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Na ja, Cleesewood hatte alle Anzeichen einer Intoxikation. Unter
anderem eine blaue Zunge und Lähmungen, die auch die Skelettmuskulatur
betrafen. Er starb schlieÃlich durch Atemlähmung. Allerdings habe ich kein Gift
in seinem Körper gefunden. Keine toxischen Metalle oder Metallverbindungen,
keine Toxine von Pilzen oder Pflanzen. Nichts. So was hab ich noch nie gesehen,
und die Fachliteratur schweigt. Ich habe also keine Ahnung, vor welchem Gift
ich Sie warnen sollte. Mein Rat: nur noch Bier aus Dosen trinken. Von mir aus
auch auf die Hamburger Art.«
Cumberland klatschte in die Hände. »So, Frühstück zu Ende, ich muss
weiterwerkeln. Wenn Sie wollen, kommen Sie in zwei Wochen wieder, bis dahin
höre ich mich zum Thema Henkersmahlzeit bei Suizid um. Oder war das nur ein
Vorwand, um was über Cleesewoods Tod zu erfahren?«
»Es war nur ein Vorwand.«
»Hat funktioniert.«
Bietigheim war schon fast aus der Tür, als ihm noch etwas einfiel. »Eine
letzte Frage: Wo finde ich in Cambridge einen guten Fahrradladen?«
Cumberland blickte nicht auf, während er den Y-Schnitt an einem
Korpus durchführte. »Ich gehe immer zu University Cycles auf der Victoria
Avenue. Die sind gut und verlangen nicht zu viel. Ich kenne die Familie schon
seit Jahren, da gehen auch viele von den Colleges hin. â Ist das zufällig Ihr
Hund, der gerade auf die Leiche meines Selbstmörders gesprungen ist?«
»Ja. Benno von Saber ist sein Name.«
»Dann nehmen Sie ihn mit. Knabbern ist erst nach vollständiger
Obduktion erlaubt.« Mit einem selbstzufriedenen Grunzen stellte er die Musik
wieder lauter.
Als der Professor aus der Gerichtsmedizin trat, entfernte sich
gerade ein junger Mann im Tweedmantel von der gegenüberliegenden
StraÃenlaterne.
Bietigheims Schritte führten ihn weit fort von all den Leichen und
durch einen angenehmen, geradezu erfrischenden Nieselregen. Warum redeten die
Menschen nur immer so negativ über Regen? Es gab so viele herrliche Arten, für
jede Gelegenheit einen. Oder, wie er gerne scherzte: Es gab keinen schlechten
Regen â nur schlechte Regenschirme.
Das Wetter lenkte ihn davon ab, darüber nachzudenken, ob der Mörder
plante, ihn zu erschlagen, zu ersticken oder zu vergiften. Bietigheim hielt es
mit dem Tod wie Woody Allen: Er lehnte ihn strikt ab.
SchlieÃlich hielten seine FüÃe vor einem unscheinbaren,
neumodisch-grauen
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