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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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seiner
schlimmsten Ängste, ebenso wie die Vorstellung, dass ein Flugzeug aufs Haus
stürzen oder ein Riesenkrake sein Taxi verschlingen könnte. Wenn schon
Paranoia, dann wenigstens auf Hollywood-Niveau!
    Er fuhr mit Alfons in die Stadt, anstatt den ganzen Weg zu gehen.
Das waren seine Füße nicht gewöhnt, die normalerweise nur den Druck von Bremse,
Gaspedal und Kupplung auszuhalten hatten und kein hartes Straßenpflaster. Der Parkplatzradar
funktionierte wieder bestens, und er fand einen freien Platz, auf dem seit
Ewigkeiten niemand außer Jonathan Dayle und seinen Vorfahren gestanden hatte –
bis Pit die einzige Chance seit über siebenundzwanzig Jahren nutzte, dort einen
fahrbaren Untersatz abzustellen. Die Familie Dayle setzte gerade ihre Gefährte
um.
    Sie würde diesen Tag nie vergessen.
    Es war schwer was los in Auntieʼs Tea House, was daran liegen
mochte, dass der Regen geduldig in den Wolken hing, statt über der Stadt
niederzugehen. Derweil tollten die Sonnenstrahlen wie junge Hunde durch
Cambridges Straßen, Gassen, Plätze und Gärten, was die Einwohner und Touristen scharenweise
dazu brachte, unter freiem Himmel zu essen und zu trinken.
    Pit hatte diese Woche keinen Dienst mehr, denn einige
Mitarbeiterinnen waren aus dem Urlaub zurückgekehrt, und ältere Rechte gingen
vor. Diana war nicht zu sehen. Vermutlich stand sie in der Küche und steuerte
von dort das Geschehen, weil ihr nicht danach war, vor aller Augen fröhlich
wirken zu müssen, obwohl sich die Sorgen um ihren Vater wie in einem Lagerhaus
stapelten.
    Pit störte sich nicht daran, dass Hunde eigentlich draußen bleiben
sollten. Es war Bietigheims Hund, also hatte er auch dessen Ansicht zu diesem
übernommen: Benno war kein Hund, Benno war ein Benno. Und Bennos durften
überall rein. Er klopfte nicht, sondern stieß die Tür zur Küche einfach auf.
Diana stand allein im Raum, völlig in die Arbeit versunken.
    Â»Wollte mal sehen, wie es dir geht. Gibtʼs was Neues?«
    Â»Nein.« Diana schnitt gerade den Rand einiger
Ei-und-Kresse-Sandwiches ab. »Nichts. Und jede Minute, die vergeht, macht es
noch schlimmer.« Sie drückte ihm ein Lachs-Sandwich in die Hand. »Du hast
sicher Hunger.«
    Â»Bin ich so leicht zu durchschauen?«
    Â»Du nicht, aber dein Bauch.« Sie rang sich ein Lächeln ab. Pit blieb
für einen Moment das Herz stehen. An ihrem Lächeln würde er sich niemals
sattsehen. Wie konnte eine Frau nur so lächeln? Immer wenn er sie lächeln sah,
vergaß er alles um sich. Deshalb merkte er auch nicht, wie Benno ihm das
Sandwich einfach aus der Hand stahl.
    Â»Pit? Bist du noch da? Habt ihr schon was über die Krümel
herausgefunden?«
    Â»Was? Ach so, ja, die Krümel. Es ist Pu-Erh-Tee, und zwar offenbar
ein sehr wertvoller.«
    Â»Seid ihr euch da sicher? Wir haben zwar Pu-Erh im Sortiment, aber
nur normale Ware. Für teurere Fladen gibt es hier keinen Markt, und den in
London decken die dortigen Spezialisten ab.«
    Â»Der Professor ist sich sicher. Und es gibt Dinge, bei denen er sich
niemals irrt.«
    Â»Mein Vater hat mir nie erzählt, dass er … na ja, das er„klärt
zumindest, warum er ihn im Tresor aufbewahrt hat.«
    Pit nahm sich, ohne zu fragen, ein Lachs-Sandwich, die waren gut.
Benno bellte kurz auf, um seinen Anteil einzufordern. Mit Erfolg. »Scheint, als
hättet ihr eine ganz spezielle Vater-Tochter-Beziehung.«
    Diana schnitt sich in den Finger. Schnell hielt sie ihn unter
fließendes Wasser, tupfte ihn ab, klebte ein Pflaster darauf und zog einen
Plastikhandschuh über. »Welche Vater-Tochter-Beziehung ist schon normal? Alle
sind auf ihre Art speziell. Oder einzigartig. Mein Vater ist ein bisschen … schwierig.
Unser Verhältnis ist eigentlich nicht das eines Vaters zu seiner Tochter. Da
ist eine Verbundenheit, ja, aber keine Wärme. Aber woher auch? Er ist ohne
Vater aufgewachsen und wusste nie, wie einer zu sein hat. Er war ein
erwachsener Mann in unserem Haushalt, den ich Vater nannte. Erst als ich älter
wurde, nahm er mich richtig wahr.«
    Eine Serviererin rauschte herein und nahm die Bestellung für Tisch drei
mit.
    Diana sprach erst weiter, als sich die Tür wieder schloss. »Ein
wenig autistisch kommt er mir immer vor, aber auch wie ein Künstler, der ganz
in seiner eigenen Welt lebt. In den letzten Monaten ist er immer verschlossener
geworden,

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