Der letzte Aufguss
Türen waren noch frei, schienen jedoch in ernstlicher Gefahr, in
Bälde verschlungen zu werden.
Der Schlüssel war im Koikarpfenteich versteckt, unter einem
gusseisernen Buddha, den Kevin darin versenkt hatte.
»Er hat den Schlüssel mal aus dem Versteck geholt, als ich ihn nach
einer feuchtfröhlichen Party heimgebracht habe. Er weià allerdings nicht, dass
ich ihn dabei beobachtet habe.«
Den noch nassen Schlüssel steckte Diana ins Schloss. Drinnen
erwartete sie ein penibel aufgeräumtes Haus, das nach Essigreiniger duftete
oder eher stank. Pit band Benno fest. Die Gefahr war einfach zu groÃ, dass er
Unsinn anstellte.
Der Foxterrier begann sofort, an der Leine zu zerren.
Diana und Pit gingen gemeinsam durchs Haus, vorsichtig, ohne etwas
zu berühren, als könne es wie dünnstes Glas bei der leichtesten Erschütterung
zusammenstürzen. Das Gebäude wirkte völlig unbewohnt, wie ein Musterhaus. Der
Kühlschrank war leer und ausgeschaltet, die weiÃen Ledersofas wiesen keine
Sitzdellen auf, die Fernbedienung des Fernsehers lag parallel zur Tischkante.
»Ist er oft hier?«
»Ich weià es nicht. Er verbringt viel Zeit im Laden oder auf Reisen.
Kevin hat auch immer wieder Freundinnen, bei denen er dann einzieht.«
Sie stiegen die Treppen hoch, die erste Tür führte ins Schlafzimmer.
Das Bett war tadellos gemacht, im Kleiderschrank schien nichts zu fehlen.
Plötzlich erklang ein lautes Bellen, und zwar nicht aus dem
Erdgeschoss. Benno musste sich losgerissen haben, und tatsächlich, er sprang
vor der Badezimmertür auf und ab, immer wieder.
Pit öffnete sie.
Das Badezimmer war riesig, groÃe Panoramafenster lieÃen das
Tageslicht herein. WeiÃer Marmor bedeckte die Wände, schwarzer den Boden. Alle
Armaturen des Badezimmers waren vergoldet. Dianas Vater lag nackt in der
groÃen, frei stehenden Wanne, vollends unter Wasser, die Augen weit geöffnet.
Das Wasser war strahlend moosgrün, Teeblätter trieben darin. Vom linken bis zum
rechten Rand reichte ein Kirschholztablett, auf dem eine Teekanne mitsamt
Schale stand. Um den Beckenrand standen Teelichte, die längst heruntergebrannt
waren.
Pit blieb in der Tür stehen und versperrte den Weg. »Du solltest das
lieber nicht sehen, Diana.«
Doch sie drängte sich an ihm vorbei, ging zur Wanne, ganz nah,
senkte ihr Gesicht bis an die Wasseroberfläche. Dann packte sie ihren Vater
unter den Schultern, zog ihn empor, strich die Haarsträhnen aus seiner Stirn
und schloss ihm die Augenlider. Seine Haut war bereits aufgequollen, doch
ansonsten sah es aus, als säÃe er friedlich in der Wanne und schliefe.
»Ich hatte mir so etwas schon gedacht. Es sah ihm so gar nicht
ähnlich, einfach zu verschwinden.«
»Wie ⦠wie geht es dir?«, fragte Pit und verfluchte sich im selben
Moment für so viel Dummheit. Wie sollte es ihr schon gehen?
»Ich kann es nicht glauben. Es ist so unwirklich. Ich fühle gerade
überhaupt nichts. Kannst du das verstehen? Als würde ich einen Film gucken, in
dem eine Frau ihren toten Vater in der Wanne entdeckt. Aber die Figuren kenne
ich nicht, und sie sind mir auch völlig gleichgültig.«
Pit holte sein Handy hervor, um die Polizei zu rufen, doch als Diana
es sah, schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht, lass mir erst etwas Zeit mit ihm.
Wenn die Polizei und der Leichenbestatter kommen, dann ist es vorbei mit der
Ruhe. Lass mich Abschied nehmen.«
Pit steckte das Handy wieder ein.
Dann sah er sich um. Nichts im Badezimmer deutete auf irgendeine Art
von Gewalteinwirkung. Auf dem dunklen Marmorboden waren keinerlei Spuren von
StraÃenschuhen zu sehen, die eine mögliche zweite Person hinterlassen haben
könnte, nichts war umgeworfen, nichts lag auf dem Boden. Das einzig
Ungewöhnliche war eine GroÃpackung grüner Tee, ein Sack, der Pit bis zur Hüfte
reichte. Früher, so hatte ihm der Professor berichtet, war Tee in Holzkisten
transportiert worden, doch durch Undichtigkeiten oder Schimmel konnte er einen
muffigen Geruch und Geschmack erhalten. Die heute gebräuchlichen dickwandigen
und lichtundurchlässigen Plastiksäcke waren zwar weniger ansehnlich, dafür
weitaus praktischer.
»Ist das Schimmel?« Pit ging näher heran. Der Tee war oben weiÃ
gesprenkelt, wie mit Puder. Er griff in den Sack und tauchte mit beiden Händen
hinein. Nach kurzer Zeit fand er, was er
Weitere Kostenlose Bücher