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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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immer weiter abgedriftet, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.«
Sie atmete tief durch und lächelte. »Du solltest mal seine Teekreationen
probieren, er spielt mit den Aromen wie ein Pianist auf den Tasten eines
Flügels. Viele berühmte Teefirmen engagieren ihn, um neue Mischungen zu
kreieren oder die Arbeit ihrer Mitarbeiter zu überprüfen. Aber wie Künstler nun
mal sind, ist ihm das Geschäftliche immer fremd geblieben. Mit seinen
Fähigkeiten müsste er längst steinreich sein, doch der Laden wirft kaum was ab,
das Geld kommt über mein Tea House.«
    Während sie vorher in raschem Tempo weitergearbeitet hatte, wurde
sie auf einmal langsamer und begann die Mayonnaise immer wieder über dieselben
Stellen zu streichen. »Weißt du, er ist in einer miesen Londoner Gegend
aufgewachsen und hat sich zunächst mit Gaunereien über Wasser gehalten.
Taschendiebstahl, später auch Einbrüche und Autoknacken. Aber dann wurde seine
Nase entdeckt und er hat sich hochgearbeitet. Ich hab viel Respekt vor dem, was
er geschafft hat, ich bin sogar stolz darauf. Allerdings würde ich mir
wünschen, dass er auch mal anerkennt, was ich alles leiste. Aber das ist wohl
zu viel verlangt, und langsam akzeptiere ich es. Oder rege mich zumindest nicht
mehr ständig darüber auf.«
    Sie lächelte wieder. Diesmal glänzten ihre Augen, die braune und
grüne Pigmente aufwiesen und je nach Lichteinfall immer ein wenig anders
aussahen – mal geheimnisvoll, mal fröhlich, dann plötzlich verlockend. Diese
Augen wollte Pit unbedingt öfter sehen. Am besten morgens, mittags und abends –
und dazwischen.
    Â»Mit langsam meine ich«, fuhr sie fort, »dass ich es in zwanzig
Jahren vielleicht halbwegs akzeptieren kann.« Sie wurde wieder ernst. »Die
meiste Zeit bin ich glücklich, so einen außergewöhnlichen Vater zu haben. Denn
wer kann das schon von sich sagen? Andere Väter sind vielleicht liebevoller,
aber auch normaler, langweiliger.« Diana fuhr sich mit den Fingern über die
feucht werdenden Augen. »Okay, wenn ich ehrlich bin, dürfte er ruhig weniger
verrückt und dafür liebevoller sein. Aber Männer kann man ja bekanntlich
ändern.«
    Pit setzte ein skeptisches Gesicht auf.
    Â»Das sollte ein Witz sein!«, rief sie lachend.
    Â»Dann bin ich beruhigt. Sonst hätte ich es dir schonend beibringen
müssen. Soll ich dir etwas helfen?«
    Â»Nein, danke. Deine Hände sind zu groß. Wenn wir mal wieder ein
Schwein schlachten müssen, wende ich mich vertrauensvoll an dich. Und nimm dir
keine Sandwiches mehr, sonst komm ich mit den Bestellungen nicht nach. Du
kannst dir aber gern etwas Lachs aus dem Kühlschrank nehmen.«
    Â»Wenn du mich so nett bittest.« Er nahm ein großes Stück und ließ
unbemerkt etwas für den um ihn herumscharwenzelnden Benno fallen. »Was ich dich
noch fragen wollte: Gab es eigentlich Hinweise in seinem Haus oder seiner
Wohnung? Hat dein Vater irgendwelche Sachen gepackt, oder stehen noch halb
volle Teller auf dem Esstisch?«
    Diana legte das Messer beiseite. »Ich weiß es nicht.«
    Â»Was meinst du damit?«
    Â»Ich war noch nicht da.«
    Â»Wieso? Das ist doch das Erste, was man in so einem Fall macht.«
    Die Tür öffnete sich, eine andere Serviererin kam herein und griff
sich den bereitstehenden Sandwich-Teller. Pit hätte sie am liebsten hochkant
hinausgeworfen.
    Â»Mein Vater würde das nicht wollen. Er ist da sehr eigen. Niemand
darf in sein Haus.«
    Â»Und wenn ihm etwas passiert ist? Wenn er gestolpert ist oder einen
Herzinfarkt hatte? Du musst doch einen Schlüssel haben, für alle Fälle?«
    Wieder ging die Tür auf, diesmal ging es um die Bestellung für Tisch
sieben, außerdem wurden vier neue Bestellzettel auf einen großen Nagel
gespießt.
    Â»Nein, ich hab keinen Schlüssel. Aber ich weiß, wo er einen
versteckt hat.« Diana zögerte kurz, dann zog sie die Schürze aus. »Kommst du
mit? Irgendwie ist es mir lieb, wenn jemand dabei ist – aber es sollte niemand
vom festen Personal sein.«
    Â»Die kannst du nicht so leicht feuern wie mich.«
    Â»Genau.«
    Und wieder war da dieses Lächeln. Doch diesmal lag auch Angst darin.
    Kevin Shieldsʼ Haus lag etwas außerhalb. Ein schlichter Bau aus den
Siebzigern, umgeben von einem großen Garten und mit Efeu überwuchert. Nur
Fenster und

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