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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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erfahren, dass junge Schwäne, die ordentlich gefüttert wurden,
hingegen köstlich sein sollten. Nur zu gerne hätte er dieses Fleisch einmal
probiert.
    Natürlich war alles auch eine Frage der korrekten Zubereitung.
Bietigheim hatte ein Rezept für gebratenen Schwan herausgesucht, das aus dem
14. Jahrhundert stammte. Und das »Royal Tudor Kitchens Cookbook« enthielt ein
wunderbares Rezept für Roast Lemon Salad with Swan. Auch Schwanterrine mit
abgehangenem Brust- und Beinfleisch sollte delikat sein – und vom Geschmack her
an Fasan erinnern. In Carl Orffs »Carmina Burana« gab es sogar ein eigenes Lied
über einen am Spieß gebratenen Schwan: »Cignus ustus cantat«.
    Jetzt paddelte eines der Tiere neugierig auf das Loch zu, streckte
sogar den Kopf herein – doch keine Hand zog ihn herein, um ihn in einen Käfig
zu sperren.
    Enttäuschend.
    Dabei wäre ein Schwan genau das, was er für das Festessen von
Hildegard zu Trömmsen brauchte. Da würden die Gäste Augen machen. Und Hildegard
zu Trömmsen erst! Auf ewig würde sie ihm dankbar sein.
    Aber ohne Erlaubnis des Masters machte er sich strafbar. Und es
würde auf jeden Fall herauskommen, denn ein von ihm, von Professor Dr. Dr. Adalbert
Bietigheim, zubereitetes Schwanenmahl würde für Furore sorgen. Er hatte eben
versucht, Hildegard zu Trömmsen die traurige Nachricht am Telefon schonend
beizubringen.
    Sie war sehr ausfallend geworden. Und das wollte bei Hildegard zu
Trömmsen schon etwas heißen.
    Bietigheim stieg wieder auf sein schwarzes Hollandrad und fuhr zum
Fahrradparkplatz an der Park Street, wo er es geschützt abstellen konnte. Es
war nicht weit von hier bis zum Jesus Green Outdoor Swimming Pool. Dieser maß
nur vierzehn Meter in der Breite, aber einundneunzig Meter in der Länge – damit
es sich anfühlte, als würde man im nur wenige Meter entfernten Cam schwimmen.
Der Outdoor Pool war einer der größten seiner Art in Europa. Da er nicht geheizt
wurde, stürzten sich von Mai bis September nur Kälteunempfindliche ins Nass. Je
kühler der Tag, desto leerer der Pool.
    Der Regen benahm sich heute wie ein Klingelmäuschen, er kam kurz und
heftig, doch wenn man hochschaute, war keine Wolke zu sehen. Das reichte, um
die Schönwetterschwimmer fernzuhalten. Noch etwas prädestinierte den Pool für
ein konspiratives Treffen mit der Port Wine Society: Ihn umgaben blickdicht
Bäume und Wände, sodass Gaffer von außerhalb keine Chance hatten.
    Nachdem Bietigheim sich in seinen einteiligen, blau-weiß karierten
Badeanzug geworfen hatte, trat er an den Beckenrand. Die eine Hälfte des Pools
war abgesperrt für Bahnenschwimmer, hier tummelten sich erschreckend
athletische Triathleten. Vier Familien hielten sich im flachen Bereich des
Pools auf, die Mitglieder der Port Wine Society trieben nah beieinander in der
Mitte des Beckens.
    Bietigheim stieg ins Wasser, holte tief Luft und tauchte unter. In
der Jugend war er norddeutscher Meister im Langstreckentauchen gewesen. Man hatte
ihn deshalb den Königspinguin genannt. In kraftvollen, weit ausholenden,
perfekt ausgeführten Zügen näherte er sich seinem Ziel – wo er langsam und kaum
hörbar aus dem Wasser emportauchte.
    Â»Meine Herren, meine Damen. Ich darf davon ausgehen, dass Ihnen
niemand gefolgt ist?«
    Die Studenten nickten – und blickten sich trotzdem unsicher um.
    Â»Sind wir uns einig, dass Michael Broadbent keinen Selbstmord
begangen hat?«
    Joel Payne meldete sich zu Wort. »Absolut. Er hat nicht die
Sherlock-Holmes-Tinte genutzt, die bei allen wichtigen Schriften für uns
verpflichtend ist. Gerade im Angesicht des Todes hätte Michael diese Grundregel
geachtet. Damit hat er uns einen Hinweis gesandt.«
    Bietigheim merkte, wie ihm kalt wurde, weil er sich nicht mehr
bewegte. Deswegen begann er die Society zu umrunden wie ein hungriger Hai.
    Â»Sie haben hinsichtlich des genauen Ablaufs in der Tatnacht
ermittelt?«
    Diesmal antwortete Jancis Robinson, deren Augen stark gerötet waren.
»Der Turm wurde an diesem Tag um neun Uhr abends abgeschlossen. Das hat der
Küster übernommen, nachdem die Putzfrauen fertig waren. Niemand hat Michael an
dem Abend gesehen.«
    Bietigheim schwamm näher zu ihr. »Wer besitzt alles einen Schlüssel
zum Turm?«
    Alle Mitglieder der Port Wine Society zuckten mit den Schultern. Da
der Professor immer

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