Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
einer braunen
Tagesdecke versehen war. Ausgefallene Hüte lagen darauf. Damenhüte. Trug Colin
privat etwa …
    Er musste Bietigheims Blick bemerkt haben.
    Â»Ich bin erst seit Kurzem zurück in Cambridge. Meine Mutter ist
verstorben, sie hat das Geschäft geleitet, seit mein Vater nicht mehr ist. Eine
sehr gute Fahrradmechanikerin. Und immer fair zu den Kunden. Aber sie konnte
sich nie von irgendwas trennen, deswegen war sie auch schlecht im
Räderverkaufen – und darin, die Wohnung überschaubar zu halten.« Colin breitete
die Arme aus und wies auf das Chaos. »Ich habe es noch nicht geschafft,
irgendetwas zu ändern. Wenn ich hier umräume, dann erst nehme ich richtig
Abschied von meiner Mutter. Noch kann ich mir einreden, sie träte jeden
Augenblick mit ölverschmiertem Blaumann durch die Wohnungstür. Was sie
natürlich nicht machen wird.«
    Â»Mein Beileid zu Ihrem Verlust. Wie ist sie denn gestorben?«
    Â»Ihr Herz hat nicht mehr mitgemacht, es ist nach vielen Jahren der
Arbeit einfach stehen geblieben. Es muss im Schlaf passiert sein. Sie wurde
erst einige Tage später gefunden, als die Stammkunden sich wunderten, dass der
Laden zublieb. Lassen Sie uns in die Küche gehen, dann setze ich uns einen Tee
auf. Einen Malty Gold Sree Sibbari, wenn Sie mögen?«
    Â»Gern. Und etwas Wasser für Benno – falls wir ihn jemals
wiedersehen.«
    In diesem Moment ertönte ein Bellen aus der Ecke des Wohnzimmers, wo
vier alte Schwarz-Weiß-Röhrenfernseher übereinandergestapelt waren.
    In der Küche hingen jede Menge Topflappen von der Decke, und
gusseiserne Pfannen und Kochtöpfe bedeckten die Wände. Am einzigen freien Platz
hing ein Stück Pappe mit der handschriftlichen Notiz: »Hier bitte einen
Rembrandt!«
    Nur die kostbare Teekanne, die Teeschalen aus dünnem Porzellan und
die unzähligen mit Tee gefüllten Dosen schienen nicht in die rustikal gehaltene
Küche zu gehören.
    Â»Machen Sie es sich doch bequem, bis der Tee fertig ist.« Colin zog
einen Stuhl für den Professor vor und setzte dann einen Topf mit Wasser auf. »Als
meine Mutter starb, hatte ich gerade keine Anstellung. Also bin ich zurück und
habe das Geschäft weitergeführt. Sie hatte mich lange vor ihrem Tod schon darum
gebeten, und ich wollte ihr diesen letzten Gefallen tun. Jetzt zeigt sich, was
für eine kluge Frau meine Mutter war, denn ich habe meine Wahl nicht bereut. So
sehr ich das Leben für die Wissenschaft schätze, so wunderbar ist es, mit den
Händen zu arbeiten und zu sehen, was man am Tag geschafft hat.«
    Nun, dachte Bietigheim, manchmal sah er am Ende eines Tages auch,
wie sehr er die Studenten geschafft hatte. Und das konnte einem tiefe
Zufriedenheit verleihen.
    Colin setzte sich zu Bietigheim, der ihn auf den neuesten Stand der
Ermittlungen brachte. Die Informationen purzelten aus ihm raus wie Teeblätter
aus einer schief gehaltenen Dose. »Haben Sie vielleicht eine Idee, wie dieses
grässliche Rauschmittel in den … wunderbaren Grüntee gelangt sein könnte?« Bietigheim
mochte es kaum aussprechen. Kostbaren grünen Tee mit Drogen in Kontakt zu
bringen!
    Colin lächelte, auf eine stilvolle, bescheidene Art und Weise. »Ich
weiß, dass Sie sich mit diesem Aspekt des Teehandels nie beschäftigt haben.
Aber wegen seines starken Dufts ist Tee ideal, um darin Drogen aller Art zu
schmuggeln. Ich würde ja gerne behaupten, dass ich Kevin so etwas nicht
zutraue, doch das wäre gelogen. Er hat auf mich nie wie ein Teehändler gewirkt,
sondern wie ein Händler, der eher zufällig beim Tee gelandet war und dem es
mehr um den Handel als um den Tee ging, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Â»Wenn er wusste, dass Kokain im Tee war, dann war es Selbstmord.
Doch warum hat er sich die Überdosis dann nicht mit reinem Kokain verabreicht?«
    Â»Kevin war ein ungewöhnlicher, eigenbrödlerischer Mensch. Wer kann
schon sagen, warum es ihm passend erschien.«
    Â»Und warum hat er sich überhaupt das Leben genommen?«
    Colin füllte das heiße Wasser in die Teekanne, stellte sie zusammen
mit den Teeschalen auf ein Kirschholztablett und ging ins Wohnzimmer, wo er
einige Bücher von der Couch räumte und sie ordentlich vor der Heizung stapelte.
»Vielleicht weil er der wahre Mörder war und es nicht mehr ertragen hat, so
viele Menschen auf dem Gewissen zu haben? Was

Weitere Kostenlose Bücher