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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Hamburger
Gesellschaft. Ich präsentiere Ihnen: Schwan à la Trömmsen an Oolong-Sauce!«
    Es wurde höflich auf die Tische geklopft.
    Begeisterung sah anders aus.
    Vor allem die Mitglieder des London High Tea Club rümpften auf
elegante Art und Weise die Nasen. Die Abgesandten des Ost- und Westfriesischen
Schwarztee-Conviviums sprachen sich gegenseitig Mut zu.
    In genau diesem Moment wurde die Sonne von einer Wolke verdunkelt.
Selbst Shakespeare hätte kein deutlicheres Zeichen der bevorstehenden
Niederlage gefunden.
    Für die Gäste sah es aus, als würde Bietigheim sich wieder in die
Küche begeben – sie täuschten sich. Er stellte sich so, dass er vom Gastraum
aus nicht zu sehen war, diesen jedoch komplett im Blick behielt. Die Sorge um
den Erfolg des Menüs wütete in seinem Magen wie ein schlecht gekochtes
Bohnengericht. Selbst wenn Hildegard zu Trömmsen die Niederlage nicht
miterlebte, hören würde sie davon. Und ihn dann vielleicht nie wieder zum
Nachmittagstee einladen. Wer würde ihm dann dermaßen schmutzige Witze erzählen?
    Bietigheim musterte die Gäste. Sie zögerten, schoben das
Schwanenfleisch von einer Seite des Tellers zur anderen, als wollten sie
prüfen, ob es sie noch anfauchen, oder schlimmer, zwicken würde. Dann fingen
die Ersten an, das Fleisch wildentschlossen in ihren Mund zu befördern – und
blickten danach stolz in die Runde.
    Der Gruppenzwang setzte ein. Niemand wollte der Letzte sein. Zuerst
kauten sie mit langen Zähnen, doch die Mienen hellten sich auf. Der Professor
wusste: Es schmeckte köstlich. Beim fünften Bissen dachten die Esser nicht mehr
daran, was sie auf der Gabel hatten, sondern genossen es einfach.
    Zum Schluss waren die Teller allesamt leer, ja, die Gäste trauten
sich gar, mit dem bereitstehenden Brot die letzten Saucenreste aufzuwischen und
in ihre Münder zu stecken.
    Ein voller Erfolg!
    Der Schweinebauch des Sternekochs dagegen lag häufiger, als diesem
lieb sein konnte, auf den Tellern, als sie wieder abgetragen wurden.
    Zwei zu zwei. Mindestens.
    Bietigheim trat aus seiner Deckung. Mit einem zufriedenen Lächeln
auf dem Gesicht.
    Ein älterer Herr, dessen Haut wie ein Lederbezug aussah, stand auf,
schlug mit der Gabel gegen ein Weinglas und wies auf den Professor. »Meine
Damen und Herren, der Schöpfer dieses einzigartigen Schwanengerichts, der
unvergleichliche Professor Dr. Adalbert Bietigheim!«
    Applaus hob an, die Gäste erhoben sich sogar von ihren Plätzen und
spendeten ihre Ovationen im Stehen. Bietigheim lächelte, doch innerlich ärgerte
er sich maßlos darüber, dass der Mann seinen zweiten Doktortitel vergessen
hatte. Er beschloss, sich vor dem nun alles entscheidenden Dessert einige
Minuten an der frischen Luft zu gönnen, und trat durch die Eingangstür in den
Vorgarten.
    Und da sah er ihn.
    Musō Kokushi.
    Er rannte keuchend am Midsummer House vorbei, mit vor Schweiß
glänzender Stirn.
    Der Professor überlegte keine Sekunde, nein, er rannte sofort
hinterher.
    Und überließ damit das Dessert sich selbst.
    Bietigheim mochte ein Mensch sein, der sich meist die nötige Zeit
für die Dinge nahm. Er baute immer einen Puffer in seine Tagesplanung ein, um
nie in die Verlegenheit zu kommen, sich durch unvorhersehbare Umstände zu
verspäten oder ein unziemliches Tempo an den Tag legen zu müssen. Hetze war
seiner Meinung nach unhanseatisch.
    Doch in diesem Fall angebracht.
    Und wenn es darauf ankam, konnte er schnell wie ein Gepard sein.
    Das galt auch für Benno. Eigentlich war er an der Garderobe des
Restaurants festgebunden. Aber was scherte Benno ein Knoten, wenn er hinter
seinem Herrchen herrennen konnte?
    Vor allem, wenn der Knoten schlampig gebunden war.
    Deshalb raste er nun mit seinen kleinen Foxterrierbeinen und
unablässig bellend hinter Bietigheim her.
    Was Bietigheim nicht wusste, war, dass Teemeister Kokushi nicht nur
von ihm und Benno verfolgt wurde, sondern außerdem von einem extrem muskulösen
Mann mit streichholzkopfkurz geschorenen Haaren und einer Nase, die aussah, als
sei sie mehrmals gebrochen oder schlecht aus Knetgummi modelliert.
    Kokushi rannte Richtung Stadtzentrum, wo heute die Hölle los war.
Unmengen von Menschen waren angereist, um das berühmte Punting-Rennen auf dem
Cam zu sehen, das an diesem Tag stattfand. Das Umland musste völlig
menschenleer sein, so viele Zuschauer säumten

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