Der letzte Aufstand
oder beschleunigten ihre Schritte, als sei die ganze Sache orchestriert.
Zwanzig Minuten später stand Pete in der Küche einer Wohnung in einem Altbau. Auf dem Tisch hatte es ein offenes Glas Erdnussbutter und ein angeschnittenes Brot, von dem die Hälfte schon gegessen worden war.
Aber in der Wohnung roch es nicht nach glücklichem Erdnussbrot verschlingen. Es roch nach Angst. Und mit einem Blick zu Terry, der neben ihm stand, wusste Pete sofort, dass etwas tatsächlich nicht stimmte. Terry blickte neben dem Tisch auf den Boden. Pete folgte seinem Blick.
Blut. Dünne Spuren. Einzelne Tropfen. Teilweise verwischt. Pete blieb der eigene Atem in der Kehle stecken. Instinktiv streckte er die Hand aus und legte sie auf die Tischplatte. Er suchte Gleichgewicht.
„Liv?“ Sein Mund war wie aus Blei, sein Kiefergelenk ungeölt.
„Liv? Bist du da?“ In dem Moment ging eine Türe auf, die die Sicht auf ein dunkles Zimmer frei gab.
☸
Vor der Küste von Zypern, 157 Tage bis „Tag X“
Luc hatte es am nächsten Tag genauso geschafft seinen Körper zu verlassen. Dass er vierundzwanzig Stunden länger gebraucht hatte als Danielle, war nicht wirklich erstaunlich, beschäftigte sie sich als Parapsychologin doch schon seit Jahren mit diesen Dingen.
Die nächsten zwei Tage erkundeten sie die Welt ausserhalb des Blickpunkts ihres Körperbewusstseins. Sie frühstückten morgens mit den anderen Teams, stellten in einer Frage und Antworten Sitzung im Plenum ihre brennendsten Fragen und verbrachten dann den Rest des Tages mit dem Forschen in der Astralwelt. Helena wehrte sich zwar gegen diesen Begriff, aber er war in einer Plenumsdiskussion einmal gefallen und wurde seitdem mangels besserer Begriffe verwendet.
Luc und Danielles grösste Frage in dieser Zeit war schlicht und einfach: War es real, was sie erlebten? Konnte es wirklich sein, dass man seinen Körper verlassen und ohne physische Augen sehen konnte? Oder war ihr Erleben ein Konstrukt ihres eigenen Geistes? Eines Gehirns, das so aktiv war, dass es Welten erdichtete und sie dem Alltagsbewusstsein als Wirklichkeit verkaufte?
Sie hatten - genauso wie Helena es von ihnen verlangt hatte - eine Liste angefertigt, auf der sie festhielten, was für Tests sie anstellen wollten, um sich selbst von der Wirklichkeit der Erlebnisse zu überzeugen. Da standen unzählige Fragen, so wie:
Kann ich mich selbst in einem Spiegel sehen, wenn ich ausserhalb meines Körpers reise? Sehe ich die physische Welt so wie sie ist, oder so wie ich sie erinnere? Können wir ausserhalb unseres Körpers ein Gespräch führen und es nachher unabhängig voneinander aufzeichnen und vergleichen? Werden wir ein Gespräch geführt haben, oder wird jeder seine eigene Version eines Märchens aufschreiben? Wie weit kann ich reisen? Hindert mich etwas daran nach Hong Kong zu reisen und das Wetter dort zu beobachten? Ist das Wetter, das ich vorfinde, identisch mit dem Wetter, das auf dem Internet von Wetterdiensten für diese Region angezeigt wird?
Die Liste war lang. Zwei Tage mussten für die Beantwortung dieser Fragen reichen, hatte Helena gesagt. Luc und Danielle verbrachten jede freie Stunde mit der Erforschung dieser Themen. Nur für das obligate Gassi gehen mit Flying Shark auf Deck musste etwas Zeit frei gemacht werden. Mit der Zeit, etwa gegen Ende des zweiten Tages, fühlten sie sich etwas komisch und schwindlig, wenn sie in den eigenen Körper zurück kehrten. Es tauchte sogar die Frage auf, was echter und wirklicher war, weil beide Realitäten durchaus zu überzeugen vermochten.
Doch eins wurde immer klarer. Die Zeit, die sie ausserhalb des Körpers verbrachten, war genauso echt wie alles andere, was das Prädikat echt verdiente. Das relativierte die Welt. Und doch führte es zu mehr Vertrauen ins eigene Leben und in die eigene Wirklichkeit, was eher paradox anmutete.
Nach zwei Tagen intensivem Üben trommelte Helena die Crew für eine weitere Instruktion zusammen. Die A-Teams versammelten sich um 07.45 im Foyer. Die Sonne draussen war schon vor Stunden aufgegangen und bot genug Helligkeit, um müde Hirne munter zu machen.
Flying Shark nahm zwischen Lucs Füssen Platz und fühlte sich durchaus als ernst zu nehmendes Mitglied des grossen Teams. Schnauze voran wartete er genauso wie alle anderen darauf, dass Helena die Unterweisung beginnen würde, was für allgemeine Aufheiterung sorgte. Luc kraulte ihn hinter den Ohren.
Helena betrat das Foyer mit üblich leichtfüssigem Schritt.
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