Der letzte Aufstand
Herkunft zu erfassen versuchte, desto mehr verbreiterte er sich und schien von überall her gleichzeitig zu kommen.
Dann kam die Verwirrung hinzu. Wo bin ich, dachte sie. Sie versuchte sich zu bewegen, liess es aber gleich wieder sein. Der Schmerz vervielfachte sich sofort, kaum spannte sie ihre Muskeln an. Welch ein Kontrast zu dem, was sie sonst wahrnahm. Der Raum war hell und freundlich. Es roch nach Blumen. Rosen?
War sie in einem Spital und Pete hatte ihr Blumen gebracht? Wieso? Sie versuchte ihre Erinnerung in Gang zu setzen, was fast ähnlich schmerzvoll war, wie eine Bewegung ihrer Muskeln, als wolle ihr Gedächtnis sie vor einer bösen Erinnerung schützen.
Sie hielt nach einer elektrischen Klingel Ausschau, wie sie in jedem Spital am Bett zu finden war. Doch da war nichts. Und dann fiel ihr auf, dass es keinerlei Apparaturen gab, keine Schläuche für die Sauerstoffversorgung, irgendwie nichts, das nach Spital aussah. Das Bewegen des Kopfs tat nicht weh, also erforschte sie ihr Zimmer in all jene Richtungen, die eine Drehung des Kopfes möglich machte. Dann bemerkte sie, dass neben ihrem Kopf Blütenblätter lagen, gelbe Blütenblätter. Aber genaueres konnte sie nicht sagen; so weit konnte sie den Kopf nicht drehen.
Livia blieb eine gute Stunde wach liegen, bevor sie wieder einschlief. Es fühlte sich an, als habe sie eine Ewigkeit geschlafen, als sie von sanften Händen mit einer leichten Massage ihres Nackens geweckt wurde.
Zum zweiten Mal an jedem Tag öffnete sie ihre Augen.
„Bewege dich nicht, Thekin. Du hast schwere Verletzungen erdulden müssen. Dein Körper braucht Ruhe und dein Geist den süssen Duft der Rosenminze.“
Livia blickte in das Antlitz einer Frau in ihrem Alter. Sie hatte grünliche Augen, blonde Haare und ein Lächeln, das direkt aus einem Märchen zu stammen schien. Es war mild, tief, direkt, warm und ... ehrlich.
„Rosenminzen?“, fragte Livia. Sie war eine ambitionierte Amateur-Gärtnerin, etwas, das sie von ihrer Grossmutter mit auf den Weg bekommen hatte. Aber von Rosenminzen hatte sie noch nie gehört.
„Die gibt es nur bei uns. Sie vertiefen die Atmung und entspannen die grosse seelische Sorgenfalte, die eine Begegnung mit dem Vard auslöst.“
Als Livia das Wort hörte, verkrampften sich ihre Hände und ballten sich zur Faust. Sie sah das Gesicht eines jungen Mannes für einen Bruchteil einer Sekunde in ihrem Kopf aufblitzen.
„Wir beginnen heute mit der Regenbogen-Behandlung, damit du schnell wieder zu Kräften kommst und deine drei Jahre abdienen kannst.“
„Wo bin ich?“, fragte Livia.
„Du bist im Palast König Karels zu Taaah.“
„Taaah?“, murmelte Livia.
„Du bist gesprungen, Kleines. Tam hat das Vard an dir erprobt und dir dann dein Leben geschenkt, indem er dich hierher gebracht hat. Du bist nicht mehr bei den Theken, sondern hast eine andere Welt betreten.“
Livia fühlte sich danach in ihren Augen zu reiben und die ganze Sache als Traum zu entlarven, doch die Arme zu heben und die Hände zu den Augen zu führen, lag nicht drin. Sie war zu schwach.
„... eine andere Welt?“, fragte sie stattdessen.
„Es gibt viele Welten, Thekin. Aber alles zu seiner Zeit.“
Die Frau zündete eine Kerze in einem goldenen Kästchen an, welches sieben Öffnungen hatte, die alle mit Glasprismen an kleinen Schwenkarmen besetzt waren. Ein buntes Licht fiel auf die Wände und die Decke und bildete verschiedenfarbige Flecken. Die Frau hing das Gerät an einem Haken über Livias Kopf auf und stellte die verstellbaren Arme des Kästchens so ein, dass die Lichter auf verschiedene Partien ihres Körpers fielen.
„Die Kraft des Lichts wird deine Heilung beschleunigen, du wirst sehen, Kleines. In einigen Tagen wirst du anfangen können Tam zu dienen und deine Schuld abzutragen.“
Die Frau brachte das schwingende Lichtkästchen zum Stillstand, indem sie es mit ruhiger Hand festhielt. Livia wollte etwas sagen, mehr verstehen, sich wehren, doch die Frau sprach weiter.
„Am besten ich entblöße dich, Thekin, damit das Licht direkt auf deine Haut scheinen kann. Ich werde in einer Stunde zurück kommen und dir etwas zu Essen bringen.“
Die Frau öffnete Livias Kleid, so dass das Licht direkt auf ihre weisse Haut fiel. Sie lächelte. Dann verliess sie den Raum.
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Des Monts d’Ardèche, Frankreich, 7 Tage nach „Tag X“
Bevor sie die Schaltung zu Helena und den anderen A-Teams der Welt aktivierten, gingen Danielle und Luc mit dem
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