Der letzte Aufstand
Intentionen in die Tat umsetzen. Aber die beiden hatten tatsächlich nichts Böses im Sinn. Es war ein blöder Zufall, dass sie in einem blauen Clio unterwegs waren und bei der Ampel standen.“
„Okay, dann können wir unsere Sorgen versorgen ... das reimt sich.“, sagte Yeva. „Wir kommen jetzt rein. Guillaume wurde bei unserem Einsatz soeben an der Schulter angeschossen. Ist zwar nur ein flacher Streifschuss, aber das muss trotzdem angeschaut werden. Sieht nicht gut aus. Unser nächster Einsatz ist erst in vier Stunden, dann kann der Arzt im Ambulatorium sich um die Wunde kümmern. Wir sehen uns in rund zwanzig Minuten. Je nach Verkehr ...“
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Paris, 10 Tage nach „Tag X“
16.30 Uhr
Philippe Broccart machte die Sache im Alleingang. Seine Frau war nicht so nachtragend wie er, deswegen betrachtete er es als seine eigene Sache, den Bullen zur Rechenschaft zu ziehen. Mireille Broccart blieb zuhause und schaute fern. Bis zum Charles-de-Gaulle Flughafen fuhr er mit seinem eigenen Wagen, einem alten blauen Mercedes, der noch nicht all den elektronischen Schnickschnack der heutigen Autos hatte. Philippe nannte den Mercedes einfach auto pur.
Er parkierte auto pur in einem der Parkhäuser des Flughafens und machte sich dann zu Fuss zu dem Gefängnis auf, wo Guillaume arbeitete.
Überfälle wir der, der jetzt unmittelbar vor ihm lag, liessen sich nur schwer bis ins Detail planen. Zu viele Variablen waren im Spiel, deswegen veranlagte Philippe das Vorhaben zwar in groben Zügen in seinem Geist, aber die Kleinigkeiten liess er grosszügig aus. Beispielsweise war ihm noch noch nicht klar, ob er den Bullen umbringen oder nur vermöbeln würde. Die Entfaltung der Ereignisse würde das klären; und so war es immer bei solchen Vorhaben: Nur die Zeit konnte den Verlauf der Dinge in Erscheinung bringen lassen.
In einem gewissen Sinne war es auch das, was Philippe an seinem Metier so befriedigend fand: man wusste nie, wie die Dinge laufen würden. Das hielt jung und forcierte auch einen alten Tiger wie ihn - so nannte er sich selbst, wenn er vor dem Spiegel stand - flexibel zu bleiben.
Philippe führte auf dem halbstündigen Weg zum Gefängnis mehrere Selbstgespräche. Die meisten gipfelten in dem Satz: Das wirst du schon schaukeln, alter Tiger.
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Taaah, 193 Tage bis „Tag X“
Hätte Livia die Zeit anhalten können, so hätte sie von der Fähigkeit Gebrauch gemacht. Die Minuten verstrichen eine nach der anderen und brachten den Zeitpunkt unerbittlich näher.
Es war nicht nur die Aussicht auf ein Leben als Geisel, die Livia mehr als sauer aufstiess, sondern vor allem das Wiedersehen mit dem Mann, der sie an den Rand des Todes gebracht hatte, das ihr die Luft in den Lungen stecken liess.
Wenn sie versuchte sich an den Typen zu erinnern, so kamen nur vage Bilder hoch. Die dominante Erinnerung war Schmerz. Und schwarz, er hatte schwarze Kleider getragen, das wusste sie noch. Nicht, dass sie aktiv diese Erinnerungen herzustellen versucht hätte, aber der nahende Moment verordnete die üblen Erinnerungen, als sei er ein Richter ohne Gnade. Livia hielt ihr Handy verkrampft in den Händen und blickte auf das Display.
Melana hatte ihr vor einer Stunden die Lichtapparatur ein letztes Mal abgenommen und sie dann mit den Worten In genau einer Stunde kommt Tam dich holen wieder verlassen. Aus einem dummen Grund hatte Livia dann den Timer gestellt, der ihr anzeigte, wann eine Stunde vorüber war. Und jetzt stand das Display auf 58:20 Minuten. Noch ein wenig mehr als eine Minute. Liv biss auf ihrer Unterlippe herum und schlug so mit ihren Zähnen einen neuen Hick in ihre Haut, kaum waren die alten Wunden verheilt.
War man in dieser Welt pünktlich? War eine Stunde hier dasselbe wie eine Stunde zuhause? Das Display hüpfte auf 59:00.
Genau eine Minute später waren diese Fragen geklärt. Melana trat ein, gefolgt von einem jungen Mann, an dessen Seite das Vard in einer Scheide steckte und von einem Gürtel baumelte.
„Es ist Zeit, Thekin.“, sagte Melana. Sie lächelte, als sei es das Normalste der Welt.
In dem Moment konnte Livia sich nicht mehr zurück halten. Sie spürte, wie die Angst sie übermannte. Sie begann zu schreien, wild und laut. Sie brüllte unverständliche Worte. Ihre Hände verkrallten sich in die Decke, die Melana ihr vom Körper zu ziehen versuchte. Melana verpasste ihr eine Ohrfeige, die ihre Wirkung jedoch total verfehlte. Livia wurde nur umso ungestümer. Sie zog Melana an den
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