Der letzte Aufstand
alles ist immer noch Neuland für euch. Die Zukunft voraus zu sagen ist eine Wissenschaft, die man nicht innerhalb von ein paar Monaten fehlerfrei beherrscht. Auch ich mache noch Fehler, einfach seltener als ihr.“
„Wir sind also nicht die ersten, die versagt haben?“
„Niemand hat versagt. Ihr seid am Lernen, Luc. Es gab mittlerweile fünfzehn Code 3 Fälle. Chile, UK, Korea, drei in den USA, zwei in China, Japan, Kroatien/Bosnien, Bulgarien, Venezuela, Neuseeland, Türkei, Moldawien und jetzt eben Frankreich/Belgien. Wir sitzen alle im selben Boot. Gott sei Dank konnten wir bis jetzt alle Code 3 Fälle sicher lösen.“
Danielle sah, wie Luc ausatmete und die Spannung, die er in sich erzeugt hatte, langsam von ihm wich.
„Danke für deine Hilfe!“, sagte Luc.
„Gut, unser Monitoring-Team hier in der Zentrale hat den Verlauf des Falles Takashi Mito zusammengefasst. Damit ihr alle von den Fehlern lernen könnt, spiele ich euch zuerst das Fall-File ab.“
Helena klickte mit der Maus auf ein Icon, worauf sich der Bildschirm teilte und links eine Zusammenfassung der Vorfälle abzuspielen begann. Ein Mann des Monitoring-Teams erläuterte die Bilder. Es war eine Aufnahme.
Zuerst sah man Danielle und Luc in der Vorbereitungsphase.
Der Mann sprach ruhig und nüchtern.
„48 Stunden vor dem Moment X scannt das Wachholder A-Team die ersten Spuren eines Anschlages in Paris. Über die nächsten fünf Stunden erarbeiten sie die Details und finden sowohl Anschlagsort, Anschlagszeit als auch Anschlagsdetails. 38 Stunden vor Moment X verständigt das A-Team das B-Team. Von dem Moment an finden stündliche Scans statt, die Luc und Danielle, gemäss Handbuch der A-Teams, alternierend vornehmen. Die Daten des Anschlages konsolidieren sich, und 26 Stunden vor Moment X muss nur ein Detail korrigiert werden. Der Moment X wird von 23.09 auf 23.08 vorverlegt, weil Takashi Mito sich neue Turnschuhe kauft, in denen er schneller geht als in den alten, was den Moment X eine Minute verfrüht. Wiederum wird gemäss Handbuch sofort das B-Team informiert. Die weiteren Scans ergeben keine Veränderungen des Anschlages. Um 22.08 Uhr geht das A-Team in einen viertelstunden Rhythmus über. Alle 15 Minuten findet ein Scan statt, der keine Veränderungen zeigt. Um 23.02 taucht der Kunde nicht auf. Und um 23.03 wird ein Code 3 eingeleitet.“
Helena klickte wieder auf einen Icon auf ihrem Bildschirm.
„Ihr seht also, alles läuft nach den Regeln ab. Das Wachholder A-Team hält sich vorbildlich an alle Sicherheitsmassnahmen. Und trotzdem geht die Sache schief. Wieso? Ideen?“
Niemand im Sitzungszimmer meldet sich. Helena lässt zwei Atemzüge verstreichen.
„Nun, ich will euch nicht zu lange hinhalten und habe auch nicht soviel Zeit, deshalb mach ich es kurz. Als ich mich um 23.03 zuschalte und die Situation mit Hilfe des Kundennamens scanne, sehe ich ihn vor dem Lift im Hotel Ritz stehen. Das B-Team kann ihn im letzten Moment daran hindern, den Anschlag zu begehen. Nachdem die Sache über die Bühne ist, analysierte ich den zeitlichen Ablauf. Es stellte sich heraus, dass Danielle und Luc alles richtig erfasst haben, aber im vorletzten Scan einen Fehler machten. Der Kunde ist um 22.45 Uhr bei der U-Bahn-Station und will sich auf den Weg machen, als ihm eine Bekannte über den Weg läuft und ihn in ein kurzes Gespräch verwickelt. Esther Frey, eine Marketing-Mitarbeiterin seiner Firma, entschliesst sich um 22.38 Uhr eine Zeitung zu kaufen und begibt sich dafür zur U-Bahn-Station, wo sie Takashi trifft. Es handelt sich um eine spontane Entscheidung von Esther Frey, die den zeitlichen Verlauf des Anschlages gering beeinflusst, aber in den Scans von 22.00 Uhr, 22.15 Uhr und 22.30 Uhr noch nicht präsent ist. Esther Frey lebt in einer Wohnung, die nur zwei Minuten von der U-Bahn entfernt ist. Sie entschliesst sich die Zeitung zu kaufen und trifft um 22.45 Uhr Takashi. Sie bespricht mit ihm etwas Geschäftliches und lässt ihn erst um 22.55 Uhr gehen. Takashi nun hadert mit sich selbst, weil er plötzlich aus dem Fluss ist. Kurzerhand entschliesst er sich ein Taxi zu nehmen, damit er nicht weiter über den Anschlag nachdenkt. Nun zum Fehler. Im Scan von 22.45 hätten Danielle und Luc die Veränderung bemerken sollen, da Esther Freys Entschluss im Spektrum sichtbar geworden war und der Anschlag dadurch eine Variation erfuhr. Sie wurden aber - und das kann uns allen geschehen - Opfer einer Habituation, wie wir sie in der Ausbildung
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