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rein.“
Sie wandte sich um und ging voran in ein helles, freun d lich möbliertes Wohnzimmer. Becker blickte sich um. Blühende Orchideen in weißen Übertöpfen auf den Fenste r bänken, eine Vase mit R osen auf dem Couc h tisch. Die hellen Ledersessel rechts und links davon luden zum Sitzen ein. Auf dem Sofa dahinter einige bunte Kissen und eine Patchworkdecke . Neben dem Fernsehtisch in der Ecke ein Ständer mit Z eitschriften . Kein Anzeichen von Kindern oder anderen Personen, o f fensichtlich lebte Beate Kugler allein in diesem Haus. R alfs und seine Blicke trafen sich. Der Kommissar blinzelte dem Jüngeren zu. Der Raum wirkte einladend und freundlich , ein Ort, an dem man sich woh l fühlen konnte. Die Tür zur Terrasse stand halb offen, und draußen sah man Gartengeräte und einige Pflanzkübel neben verschütteter Erde. Beate Kugler b e merkte die Blicke der Beamten.
„Der Garten ist mein Hobby. Ich liebe meine Pflanzen. Aber nehmen Sie doch bitte Platz“, sie wies auf die Sessel und fragte dann u n ruhig: „Was ist denn nun mit meiner Schwester?“
„Ja, Frau Kugler, es ist wirklich etwas passiert. Ihre Schwester, nun - sie ist gestern in ihrer Wohnung tot au f gefunden worden.“
Becker war immer froh, wenn es endlich heraus war. Wie oft war er schon der Überbringer einer solchen Nac h richt gewesen, fast immer handelte es sich um einen Angehörigen oder einen nahen Ve r wandten. Und jedes Mal fürchtete er sich aufs Neue vor der Ve r änderung im Gesicht de r Menschen, de nen er diese Botschaft übe r brachte. Nicht-Verstehen zuerst, dann Zweifel, Unglauben , Fassungslosi g keit und schließlich Begreifen . Dann endlich eine R e aktion, die er niemals voraussehen und auf die er sich deshalb auch niemals wirklich vo r bereiten konnte. Er blickte auf die Frau, die reglos mit gesenktem Kopf d a saß.
„Frau Kugler, haben Sie gehört, was ich gesagt habe?“ Der Kommi s sar schaute die Frau an, der junge Mann neben ihm knetete seine Finger . Stille.
„ Frau Kugler“, er brach ab, als er sah, wie sich ihre Li p pen bewe g ten. „Ich habe es geahnt, irgendwann musste das ja passieren. Di e ser Schuft“ , flüsterte sie kaum hörbar und schlug die Hände vor s Gesicht . Ihre Schu l tern zuckten.
„Wie bitte? Wen meinen Sie ? Sie wissen doch noch gar nicht, was pa s siert ist .“ Becker war irritiert.
„Ach , kommen Sie. Hören Sie auf“, schluchzte sie „ n un hat er es also doch noch geschafft. Sie sind doch nicht he r gekommen, um mir zu erzählen, dass meine Schwester einen Unfall hatte, oder?“ Sie holte aus der Hosentasche ein ze r knülltes Papie r taschentuch und wischte sich die Tränen ab.
„Wer hat es geschafft? Was meinen Sie damit?“ Jetzt war Becker hel l wach . Aufmerksam lauschte er der Schilderung Beate Kuglers, die ihm stockend und immer wieder von Schluchzen unterbrochen mit dünner Stimme b e richtete, wie ihre Schwester nach ihrer Schei du ng aus Hamburg g e flüchtet war, um in Frankfurt noch einmal völlig neu anzufangen. Ihr Eh e mann hatte sie jahrelang mit seiner Eifersucht gequält und nicht ge du ldet, dass sie sich ohne ihn mit Freunden oder Bekannten traf . Er hatte sie auf Schritt und Tritt bewacht. Über jede Stunde des Tages musste sie Rechenschaft ablegen. S ogar an ihrer Arbeitsstelle war er hin und wieder aufgetaucht, um sie zu kontro l lieren, sodass sie deshalb schon von den Kollegen gehänselt wurde. Brutal geschlagen hatte er sie , wenn er in Zorn geriet und ihr en Beteuerungen wieder einmal nicht g e glaubt hatte.
„Sie ahnen ja nicht, wie sich meine Schwester während dieser Zeit verändert hat. Sie, die immer ein lebensfroher und selbstbewusster Mensch war, zog sich immer mehr von allen zurück, vernachlässigte Freunde, B e kannte, ja sogar von der Familie entfernte sie sich mehr und mehr. Immer wenn wir uns bei meinen Eltern begegneten , an Geburt s tagen oder so, führte mein Schwager das große Wort und prahlte mit seinen beru f lichen Erfolgen. Sabine saß dann nur still und in sich g e kehrt dabei und redete kaum einmal über sich. Und wenn wir mal a l lein waren, blockte sie alle Fragen ab.“
Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: „Meine Eltern haben sich damals schreckliche Sorgen um sie g e macht. Meine Mutter wurde fast ve r rückt vor Angst.“
Sie konnte nicht weitersprechen. Ihre Hände hielten das Tasche n tuch umklammert, und ihr Gesicht zuckte. R alf rutschte unbeha g lich auf seinem Sessel herum, bis
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