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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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letzten Monaten ist er so unnahbar fatalistisch geworden, dass es mir oft Angst macht. Wer auch immer mein Dad war, er wird nie wieder der Alte sein, selbst wenn Zeus ihn in diesem Moment mit einem Donnerschlag befreien würde. Er wird nie wieder richtig zurück ins Leben finden. Er legt mir kurz eine Hand auf die Schulter und erklärt: »Ich geh pinkeln.«
    Dieses Gespräch ist mehr oder weniger typisch für die letzten Monate. Ich habe nicht direkt aufgehört, mit meinem Dad zu reden. Ich sage nur so gut wie nichts mehr, was irgendwie von Bedeutung wäre, sogar im Vergleich zu den steifen Unterhaltungen, die wir früher führten. Ich bin sicher, dass ihm das aufgefallen ist, aber die Rechtslage lässt uns ja auch keine andere Wahl. Ich bin Zeuge in seinem Prozess und darf mit ihm weder über die Beweislage noch über den Fortgang des Verfahrens sprechen, und im Augenblick scheint er praktisch an nichts anderes mehr zu denken, und mir geht es ebenso. Das Schweigen kommt mir entgegen. Ich weiß nicht, ob mein Dad schuldig ist oder nicht. Falls ja, wird ein großer Teil von mir das niemals akzeptieren. Aber ich wusste gleich mit geradezu verlässlicher Intuition, dass der Tod meiner Mutter irgendwie mit seiner Affäre zusammenhing. Anna, die dieses Thema ungern ausführlicher erörtert, weil sie nicht zwischen mich und meinen Vater geraten will, hat mich mehr als einmal gefragt, warum ich mir dessen so sicher bin. Die Antwort lautet kurz gesagt, weil ich meine Mom kannte. Wie dem auch sei, ich glaube, dass mein Dad im Grunde nur eines von mir wissen will, nämlich was ich über ihn denke und, genauer ausgedrückt, ob ich ihn noch liebe. Manchmal habe ich das Gefühl, ich sollte ihm einen Post-it-Zettel reichen, auf dem steht: »Ich sag dir Bescheid, wenn ich's rausgefunden habe.«
    Meinen Dad zu verstehen war nie einfach. Offenbar ist er mir gegenüber gern der große Unbekannte, eine Haltung, die mir, je älter ich wurde, immer weniger gefiel. Natürlich kenne ich ihn auf die schonungslose Art, wie Kinder ihre Eltern kennen, also ungefähr so, wie jemand einen Hurrikan erlebt, wenn er in dessen Auge steht. Ich kenne all seine unangenehmen Angewohnheiten - sein plötzliches Abgleiten mitten im Gespräch, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, das wesentlich wichtiger ist als sämtliche Personen im Raum; sein Verstummen, sobald sein Gegenüber persönliche Dinge anspricht, und wenn es nur um so banale Dinge geht wie juckende Füße in Wollsocken; oder diese wichtigtuerische Art, die er im Umgang mit mir an den Tag legt, als wäre die Aufgabe, mein Vater zu sein, ebenso verantwortungsvoll wie das Hüten der Geheimcodes für sämtliche Atomwaffen der Vereinigten Staaten. Aber der Prozess, die Anklage, die Affäre, all das hat mir deutlich gemacht, dass ich meinen Vater im Grunde nicht richtig kenne.
    Während ich versuche, mir auf das alles einen Reim zu machen, schwanke ich von einem Extrem ins andere. Manchmal fürchte ich, dass die nicht enden wollende Angst, die meinen Vater letztlich zum ausgebrannten Zombie gemacht hat, ihn irgendwann umbringt und ich innerhalb eines Jahres auch noch meinen zweiten Elternteil verlieren werde. Dann wiederum bin ich fürchterlich empört und wütend auf ihn und habe das Gefühl, dass er genau das bekommt, was er verdient hat. Doch natürlich ärgere ich mich meistens nur über die vielen Augenblicke, in denen ich nicht sicher bin, ob ich einen Fuß vor den anderen setzen kann oder ob die Autos auf der Straße auch weiter mit dem Erdboden verhaftet bleiben, weil sich so vieles in so kurzer Zeit verändert hat, dass ich nicht mehr weiß, was ich glauben soll.
     
    »Nur noch ein paar Themen, Richter Sabich«, sagt Molto, als es weitergeht.
    »Ganz wie Sie wollen, Mr Molto.« Es gelingt meinem Dad ein wenig besser, so zu klingen, als hätte er nichts dagegen.
    »Schön. Ich möchte Sie als Erstes fragen, ob Sie in Ihrer Ehe mit Mrs Sabich glücklich waren.«
    »Es war eine Ehe wie viele andere auch, Mr Molto. Wir hatten unsere Höhen und Tiefen.«
    »Zu dem Zeitpunkt, als Ihre Frau starb, befanden Sie sich da gerade in einem Hoch oder in einem Tief?«
    »Wir kamen miteinander aus, Mr Molto, aber ich war nicht besonders glücklich.«
    »Wenn Sie sagen, Sie kamen miteinander aus, meinen Sie dann, dass es keinen Streit zwischen Ihnen gab?«
    »Keinen Streit würde ich nicht sagen, aber auf jeden Fall hatte es in der Woche keinen großen Krach gegeben.«
    »Aber Sie haben gesagt, dass Sie

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