Der letzte Beweis
kochen.
Speziell der Computer war ein Streitpunkt, weil mein Dad, der häufig noch abends zu Hause arbeitete, regelmäßig Gerichtsdokumente auf seinen privaten Computer lud. Zahllose Entwürfe für Urteilsbegründungen waren darauf gespeichert, und bei vielen davon ging es um Berufungsverfahren, an denen die Staatsanwaltschaft von Kindle County beteiligt war, sowie jede Menge Memos zu Interna des Berufungsgerichts, in denen die Richter sozusagen die Hosen runterließen und sich unverblümt über Anwälte, Plädoyers und gelegentlich auch übereinander äußerten. Die Berufungsrichter liefen Amok, als ihnen klar wurde, dass das alles in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangt war.
George Mason, der kommissarischer Chefrichter geworden war, wollte den Eindruck vermeiden, das Berufungsgericht versuche, meinen Dad zu schützen. Um seine Kollegen zu beruhigen, hätte er vor Gericht gehen müssen, aber da gab es einen Haken, den ich schon fast wieder amüsant fand: Es gab keinen Richter, der diesen Zwist beilegen konnte, da sich bereits alle Richter am Kammergericht geweigert hatten, im Prozess meines Vaters den Vorsitz zu übernehmen. Und selbst wenn ein Richter ernannt werden würde, hätte der Verlierer keine Möglichkeit, Berufung einzulegen, weil das Berufungsgericht selbst ja eine der streitenden Parteien war. Schließlich einigte sich Molto mit George darauf, dass die Staatsanwaltschaft die Festplatte kopieren und dann unter Aufsicht von George oder einer von ihm ernannten Person untersuchen würde, sodass keine vertraulichen Gerichtsdokumente eingesehen wurden. Dieselbe Absprache wurde bezüglich des Computers aus dem Amtszimmer meines Dads getroffen.
Nachdem man beide PCs auf diese Weise durchforstet hatte, wurden sie an Richter Mason übergeben und verblieben einen Monat lang Seite an Seite in dessen Amtsräumen, bis Richter Yee ernannt wurde. Während dieser Zeit durfte mein Vater Unterlagen von den beiden Festplatten holen, die er benötigte, um noch ausstehende Urteilsbegründungen zu schreiben oder seine Termine einzuhalten, aber nur, wenn George oder dessen Vertreter dabei waren und exakt protokollierten, welche Tasten er drückte. Mein Dad ging einmal hin und musste feststellen, dass er die Rückkehr in das Reich, über das er einst herrschte, unter diesen Bedingungen zu demütigend fand, um sie zu wiederholen. Danach willigte die Anklagevertretung ein, dass weitere Kopien von den PCs durch Abgesandte vorgenommen werden durften, mit denen sich sowohl Richter Mason als auch die Staatsanwaltschaft einverstanden erklärt hatte. Bei diesen Abgesandten handelte es sich dann entweder um mich oder, auf Richter Masons Vorschlag hin, um Anna, die er als ehemalige Referendarin meines Dads und als Computerspezialistin kannte und schätzte. Nachdem Yee ernannt worden war, entschied er zugunsten der Staatsanwaltschaft und ordnete an, dass beide Computer an sie übergeben werden mussten. Auf dem Computer aus den Diensträumen meines Dads war nichts von Belang - genau wie auf dem meiner Mutter. Doch der private PC entpuppte sich als eine Goldgrube für die Anklagevertretung, und sie schleppen ihn Tag für Tag in den Gerichtssaal. Er ist in rosa Folie eingeschweißt, seit Dr. Gorvetich im Dezember ins Berufungsgericht kam, um ihn abzuholen.
»Richter Sabich, einen Tag bevor Ihre Frau starb, entfernten Sie einige E-Mails auf Ihrem privaten PC, nicht wahr?«
»Nein, das hab ich nicht getan, Mr Molto.«
»Na schön«, sagt Tommy. Er nickt, als hätte er diese Antwort erwartet, und geht mit finsterem Blick ein wenig hin und her, wie ein Vater, der ein unartiges Kind tadeln will. »Ihr Internetprovider ist ClearCast, richtig?«
»Ja.«
»Nur damit wir alle das richtig verstehen: Wenn Ihnen jemand eine E-Mail schickt, geht die zunächst an den Server von ClearCast, und Sie laden sie dann über Ihr E-Mail-Programm auf Ihren privaten PC. Korrekt?«
»Ich verstehe nicht viel von Computern, Mr Molto, aber das hört sich richtig an.«
»Und laut Dr. Gorvetichs Zeugenaussage haben Sie Ihr E-Mail-Konto bei ClearCast so eingerichtet, dass E-Mails nach dreißig Tagen von dem ClearCast-Server gelöscht wurden, richtig?«
»Nichts für ungut, Mr Molto, aber um so etwas hat sich meine Frau gekümmert. Sie war promovierte Mathematikerin und verstand sehr viel mehr von Computern als ich.«
»Können wir uns dann darauf verständigen, dass Sie E-Mails von dem ClearCast-Server auf Ihren Computer zu Hause herunterluden und nicht
Weitere Kostenlose Bücher