Der letzte Beweis
müssen, er sollte doch jetzt lieber die Bar verlassen.«
»Für so was hab ich vier Leute«, sagte Marco. »Ich hör bloß über meinen Ohrhörer mit.« Cantu hatte das Gerät in der Tasche und holte es kurz hervor, was mit Schmunzeln quittiert wurde.
»Und was ist mit irgendwelchen Promis?«, fragte Brand, der ein Faible für die Glitzerwelt hatte. »Die steigen doch bestimmt schon mal bei euch ab.«
»Allerdings«, sagte Marco. »Und die können einem das Leben ganz schön schwer machen.« Er erzählte die Geschichte von einem neunzehnjährigen Rockstar, der nach einem Zug durch die Bars in der Stadt sturzbetrunken um drei Uhr morgens zurück ins Hotel gekommen war und auf einmal meinte, es wäre eine prima Idee, sich in der Lobby splitternackt auszuziehen. »Ich wusste nicht, was ich zuerst machen soll«, sagte Marco, »die Paparazzi verscheuchen oder die Heizung hochdrehen, damit sich der Junge keine Erkältung holt. Das war vielleicht ein Blödmann.«
»Ihr kriegt doch auch lokale Prominenz«, sagte Brand. »Hast du mir nicht erzählt, du hättest Anfang letzten Jahres alle naselang den Chefrichter vom Berufungsgericht bei euch gesehen?«
»Stimmt«, sagte Marco. »Und so gut wie jedes Mal hatte er diese kleine chiquita am Arm.«
Brands dunkle Augen suchten Tommys. Jetzt wusste Molto, warum sie hier waren.
»Wie jung?«, fragte Tommy.
»Auf jeden Fall volljährig. Ich weiß nicht. Dreißig? Attraktiv, mit mächtig Holz vor der Hütte. Beim ersten Mal hab ich ihn nur so in der Lobby rumsitzen sehen. Ist doch komisch, oder? So ein Chefrichter hat doch immer viel zu tun. Ich will zu ihm, um ein bisschen zu quatschen. Aber da seh ich, wie er zur Seite kuckt und irgendwem signalisiert, er soll verschwinden. Ich bück mich, um meinen Hosenaufschlag zu richten, und sehe diese Braut, die rückwärts geht und dann zum Fahrstuhl.
Ein paar Wochen später bin ich oben auf einer der Etagen, um bei irgendeinem asiatischen Geschäftsmann mit Jetlag nach dem Rechten zu sehen, weil er seinen Weckruf nicht angenommen hat, und als die Fahrstuhltür aufgeht, sehe ich gerade noch, wie die beiden auseinanderspringen und sich in ihre jeweiligen Ecken stellen. Der Richter und sie. Ich meine, sie war echt dabei, ihre Bluse wieder in den Rock zu stopfen, und der alte Oberrichter hatte so einen Blick im Gesicht, als würde er denken: Jetzt bloß nicht in die Hose machen. Wieder zwei Wochen später seh ich ihn in die Lobby kommen, und als er mich bemerkt, wirbelt er rum wie eine Ballerina und marschiert durch die Drehtür wieder raus. Aber die Braut, die steht an der Rezeption.«
»Um welche Tageszeit war das?«, fragte Tommy und beäugte misstrauisch die Gäste um sie herum. Am Nebentisch saß eine Gruppe aus dem Krankenhaus, alle in weißen Kitteln mit Instrumenten in der Brusttasche. Sie alberten herum, lachten, ohne Notiz von dem Oberstaatsanwalt gleich neben ihnen zu nehmen.
»Zweimal gegen Mittag. Das letzte Mal nach Feierabend.«
»Der Richter lässt es sich in der Mittagspause besorgen?«
»So sah das für mich aus«, sagte Marco.
Tommy nahm sich Zeit fair seine widerstreitenden Beurteilungen. Es überraschte ihn nicht, dass Rusty ein Heuchler war, dass er um den Sitz im Obersten Bundesstaatsgericht kandidierte und gleichzeitig herumvögelte. Manche Männer waren einfach so, schwanzgesteuert, nichts anderes. Der Gedanke, seine Frau zu betrügen, war für Tommy unfassbar, lag regelrecht außerhalb jedes vorstellbaren Verlangens. Warum? Was könnte kostbarer sein als die Liebe der eigenen Frau? Alles in allem bestätigte diese Geschichte lediglich seine Einschätzung, dass Rusty Sabich ein Arschloch war.
»Tja«, sagte Tommy. »Ich selbst habe an einigen Mittagessen der Anwaltskammer in dem Hotel teilgenommen.«
»Klar. Die gibt's öfter.«
»Und die Konferenzsäle sind ständig belegt, Tag und Nacht?«
»Damals schon. Im Augenblick könnten die Geschäfte besser laufen.«
»Okay«, sagte Tommy, »aber diese junge Frau und er könnten durchaus auch aus anderen Gründen da gewesen sein. Marco, haben Sie vielleicht mal einen Blick ins Gästeverzeichnis geworfen, ob der Richter wirklich im Hotel abgestiegen ist?«
»Ja. Aber wie gesagt, die Frau stand an der Rezeption.«
»Das heißt, es gibt keinen Beleg?«
»Keinen Beleg.«
Tommy sah Brand an, der mit der Entwicklung der Dinge so zufrieden war, dass er sich gierig über sein Sandwich hermachte. Selbst in diesem Alter hatte Jimmy immer noch ständig Heißhunger.
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