Der letzte Bissen
zwei Stunden würde er sich mit einem alten Schulfreund treffen, um einen Film anzuschauen. Der Kinobesuch würde unter konspirativen Bedingungen stattfinden. Erst eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung wurde dem interessierten Kinogänger per SMS mitgeteilt, wo die Leinwand aufgebaut war. Meistens fanden die Filmvorführungen in einer stillgelegten Fabrik, in irgendwelchen Kellern oder alten Bauernhöfen am Stadtrand statt. So hatte die Polizei kaum eine Chance, rechtzeitig zu reagieren. Heute wurde Bella Martha in einer ungekürzten Fassung gezeigt. Die normalen Kinos und das Fernsehen zeigten Filme aus der Fleischepoche nur noch stark zensiert. Alle Szenen, in denen die Schauspieler Fleisch aßen, wurden herausgeschnitten.
»Ist das hier nicht ein bekannter Treffpunkt der Szene?«, fragte Sarah. »Steht zumindest in den Berichten.«
»Am Kanal«, wusste Bastian. Aus eigener Erfahrung. »Aber das ist nicht mehr unser Revier!«
»Jetzt werden Sie mal nicht bürokratisch, Kollege Bennecke. Wir sind doch ganz in der Nähe.«
»Ich will pünktlich Feierabend machen.«
»Sie wird schon warten!«
Bastian verzog das Gesicht. »Ich haben Ihnen doch gesagt, es gibt keine Sie.«
»Wir werfen nur einen Blick auf das Geschehen.«
Sarah ging weiter und Bastian blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Hinter der Brücke über den Landwehrkanal gab es eine Grünanlage mit Parkbänken. Bastian erinnerte sich an die Sommer, als es hier nach Schweinerippchen und würziger Wurst duftete. Gegrillt wurde hier im Sommer noch immer, aber nun roch es nach Paprika, Kartoffeln und Tomaten.
Die Grünanlage war ein idealer Umschlagplatz für Fleischdealer. Polizeiwagen mussten an der Straße halten, Einsatzkräfte konnten von Weitem gesehen werden. Das verschaffte den Dealern Zeit genug, abzuhauen oder sich von ihrer Ware zu trennen und sich als harmlose Spaziergänger zu tarnen.
Bastian erkannte Willi, der auf einer Parkbank saß. Vor ihm stand ein Koffer. Bastian wusste, was in dem Koffer war. Denn Willi war sein Dealer.
Willi war ein paar Jahre jünger als Bastian, er trug lange blonde Haare in einem Zopf und hatte ein schmales Gesicht mit eingefallenen Wangen. Er trug einen Brilli im Ohr und einen schwebenden Adler auf seinem Oberarm.
Bastian wurde heiß und kalt, als Willi ihn bemerkte und ihm zunickte. Willi musste annehmen, dass Bastian nur zuverlässige Leute mit zu diesem Platz brachte. Sie würden beide auffliegen, Willi und er. Was tun?
Sarah bemerkte Bastians Nervosität. »Ist was?«
»Nee, wieso?«
»Sie wirken so angespannt.«
»Kann sein, dass uns jemand folgt!«
Sarah blieb stehen und drehte sich langsam um. Die Gelegenheit für Bastian, Willi mit einer Handbewegung zu verstehen zu geben, dass er sich dünnemachen sollte.
»Da ist niemand!«
Willi stand auf, nahm seinen Koffer und ging zügig davon. Allerdings hatte er offenbar in der Eile übersehen, dass der Deckel nicht richtig verschlossen war. Er klappte auf und der Inhalt des Koffers verteilte sich auf dem Gehweg: Mettwürstchen, eingeschweißter Aufschnitt, Rinderrouladen, Frikadellen, Chickenwings.
Die Blicke von Sarah und Willi trafen sich. Willi ließ den Koffer fallen. Sarah rannte los. Willi rannte los. Bastian rannte los.
Sarah war keine trainierte Läuferin, Bastian hatte sie bald überholt. Willi hastete runter zum Ufer und lief den gepflasterten Weg am Kanal entlang. Passanten stoben auseinander.
Sie warf einen Blick zurück. Dort, wo der Koffer lag, hatte sich eine Menschentraube gebildet. Sarah war sich sicher, dass von den Beweismitteln nichts übrig bleiben würde.
Der gepflasterte Weg endete vor einem Tunnel und führte zurück in die Grünanlagen. Bastian folgte Willi in den Tunnel. Es wurde dunkel. Nur eine Notbeleuchtung brannte.
Als sie den Eingang erreichte, war Sarah außer Atem. Vor ihr tat sich die Schwärze wie eine Mauer auf. »Bennecke?«, rief sie und hörte keine Antwort.
Sie entschied, vor dem Tunnel zu warten. Ihr Kollege war Manns genug, mit dem Kerl allein fertig zu werden.
Sarah ging in die Hocke und wartete darauf, dass sich ihre Atmung beruhigte. Ihr Blick fiel auf einen Baumstamm, der im Wasser trieb. Als ihr Blick nicht mehr flackerte, bemerkte sie, dass der Baumstamm Arme und Beine hatte.
Bastian hörte Willis Schritte und seinen hechelnden Atem. Er blieb an ihm dran und bekam seinen Ärmel zu fassen.
»Was soll der Scheiß?«, röchelte Willi.
Schwer atmend standen sich die beiden
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