Der letzte Bissen
könnte?«
Sarah verzog das Gesicht. »Wollen wir das Spiel wirklich spielen? Ich habe dreihundert Kilogramm Ware, die bei diesem Wetter schnell schlecht werden. Ich suche einen Käufer, und wenn Sie es nicht sind, will ich weder Ihre noch meine Zeit verschwenden.«
Wollweber antwortete nicht. Sarah ließ zehn Sekunden verstreichen, dann nahm sie Kurs auf die Tür. »War nett, Sie kennen gelernt zu haben. Auf Wiedersehen.«
Ihre Hand befand sich bereits auf der Klinke, als sich Boris Wollweber räusperte. »Wo ist die Ware her?«
Sarah wandte sich wieder um. »Das geht Sie nichts an. Ich will auch nicht wissen, wo sie landet.«
Boris Wollweber schien nachzudenken. »Gesetzt den Fall, ich wüsste jemanden, der dafür Interesse hat. Haben Sie Preisvorstellungen?«
»Ich habe keine Vorstellungen, ich nenne Ihnen meinen Preis. Einhunderttausend Euro.«
»Das ist viel Geld!«
»Der Kilopreis liegt bei sechshundert Euro, eher höher bei dieser ausgezeichneten Qualität. Das heißt, auch Sie machen ein gutes Geschäft. Ich bin nicht neidisch. Sie haben die Infrastruktur, ich die Ware.«
Die Tür öffnete sich. Der Kellner brachte einen Teller, auf dem das gebratene Filet lag, und reichte ihn Wollweber junior.
Boris nahm eine Nase. »Riecht wirklich nicht schlecht. Sehr frisch. Gute Qualität.« Er stellte den Teller ab und nahm Messer und Gabel zur Hand.
»Darauf können Sie Gift nehmen.«
Sarah bis sich auf die Zunge. Sie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Wollweber senior hatte einen Schlaganfall nach einem vergifteten Stück Fleisch erlitten. Wie konnte sie nur so blöd sein, den Sohn mit ihrer Bemerkung daran zu erinnern?
Tatsächlich hielt Boris Wollweber inne und legte schließlich Messer und Gabel auf den Teller. Er kam um den Tisch herum und stellte den Teller vor Sarah. Dann machte er eine einladende Geste. »Ich würde gerne mit Ihnen teilen.«
»Ich habe schon gegessen.«
»Sie werden das jetzt essen oder aus unserem Geschäft wird nichts.«
»Sie benehmen sich kindisch«, versuchte Sarah, dem Ungemach zu entgehen.
Boris’ Gesichtsausdruck besagte, dass er es ernst meinte. Wenn sie den Raum lebend verlassen wollte, musste sie in den sauren Apfel beißen. Wenn es denn mal ein Apfel gewesen wäre.
Alle inneren Organe verkrampften sich, als sie Platz nahm und Messer und Gabel ansetzte. Sie fühlte sich wie eine Allergikerin, die man zwang, in Birkenpollen zu baden. Sie rief die Muskeln, die die Mitarbeit verweigern wollten, zur Ordnung. Schließlich schnitt sie ein Stück ab und führte es zum Mund. Aber die Lippen stellten sich stur und so schnupperte sie zunächst daran. Ihre Nase boykottierte die Aktion.
»Was ist?«
»Riecht ausgezeichnet. Womit haben Sie das Fleisch gewürzt?«
»Nur ein bisschen Salz, Pfeffer und Rosmarin«, gab Samtlebe Auskunft.
»Rosmarin, eine gute Wahl!«
Die Gabel überwand die Eingangsschleuse ihres Mundes, ihre Zähne zermalmten das Filet, Speichel beförderte den Brei durch die Speiseröhre hinunter, die Magensäfte blätterten im Lexikon.
Sarah erinnerte sich an das letzte Mal, als sie Fleisch gegessen hatte. Eine Freundin hatte im Garten gegrillt, es gab Bauchfleisch. Sie hatte eine aufgedunsene schwabbelige Schwarte von der Konsistenz eines ausgespuckten Kaugummis und mit dem Geschmack von Grillkohle erwischt. Ein Bissen hatte sich am Gaumen festgesaugt und sich allen Versuchen standhaft widersetzt, ihn mit der Zunge zu entfernen.
Sarah wurde übel, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
Sie schnitt ein weiteres Stück ab und stellte fest, dass das Filet innen blutig war. Das hatte sie schon zu den Zeiten gehasst, als sie noch Fleisch gegessen hatte. Mit Todesverachtung würgte sie das Stück hinunter und schob dann den Teller zur Seite.
»Ich hoffe, diese Demonstration reicht. Ich esse Fleisch nur durchgebraten.«
Boris Wollweber wirkte tatsächlich zufrieden. »Geben Sie mir etwas Bedenkzeit.«
»Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen früh acht Uhr. Wenn Sie bis dahin nicht angerufen haben, mache ich das Geschäft mit der Konkurrenz.«
In Begleitung Samtlebes verließ Sarah den Raum.
Boris kramte sein Handy aus der Jacketttasche und drück-te eine Taste. »Vater?! Ich glaube, ich habe eine Lösung für unser Problem!«
29.
Bastian studierte gerade aufmerksam einen Artikel über die Küche Siziliens, als sich die Restauranttür öffnete und eine mit sich zufrieden aussehende Sarah ins Freie trat. Sie winkte ein Taxi
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