Der letzte Bissen
»Offenbar wollte Wollweber den Anwalt täuschen. Wir haben nichts bei dem Alten gefunden. Weiß der Teufel, wo er den Film versteckt hat. Leider wird er es uns nicht mehr sagen können.«
65.
Sarah saß auf einem Stuhl neben dem Krankenbett, in dem Harder vor sich hin dämmerte. In einer Notoperation hatte man dem Anwalt drei Kugeln aus Unterleib und Beinen entfernt. Er hatte viel Blut verloren und die Ärzte gaben ihm eine Überlebenschance von 60: 40.
Vor zehn Minuten war er vom OP in die Intensivstation verlegt worden, wo er nun an Schläuchen hing und diverse Apparate über sein Leben wachten.
Obwohl Sarah hundemüde war, wollte sie Harder nicht allein lassen. Sie hatte ihn gefunden und erste Hilfe geleistet, sie fühlte sich für ihn verantwortlich.
Eine freundliche Krankenschwester brachte ihr einen Kaffee und ein paar Illustrierte.
»Ihr Mann?«
»Nein.«
»Ein Freund?«
»Ein Feind!«
Der Kaffee schmeckte bitter. Sarah goss die Reste ins Waschbecken und entsorgte den Pappbecher im Papierkorb.
Sie setzte sich wieder auf den Stuhl und blätterte im stern , dem kleinsten Übel der Regenbogenpresse. Weil sie weder der grausame Erstickungstod eines Säuglings noch der Serviceteil alles fürs Auto interessierte, griff sie zu einem Hochglanzmagazin, das sich ganz dem Leben und Wirken der Schönen und Reichen verschrieben hatte.
Sie überging die Meldungen über glamouröse Trauungen, kostspielige Scheidungen und unerwartetes Mutterglück bei Stars und Sternchen, überblätterte den Modeteil mit Stofffetzen, für deren Erwerb sie ein Jahr lang hätte arbeiten müssen, und stieß auf den letzten Seiten auf die obligatorischen Berichte über Partys und Events.
Ihr Blick fiel auf ein Foto von Imogen, das ihn während seiner Vernissage zusammen mit Eberwein und der aufregenden Schönheit zeigte. Im dazugehörigen Text hieß es:
Er ist einer der Superstars der Berliner Kunstszene. Die Bilder von Imogen Suhrkamp (39) hängen im Kanzleramt und im Reichstag.
Kein Wunder, dass die Vernissage des gebürtigen Wiesbadeners gut besucht war. Staatssekretär Eberwein (42) ist einer der Bewunderer und Förderer des Künstlers. An diesem Abend erstand er ein Bild für 16.000 Euro. Es wird in Zukunft in seiner Charlottenburger Wohnung hängen, die er sich mit seiner Verlobten Meike (26) teilt.
Sarah las den Text ein zweites Mal, aber der Inhalt blieb unverändert. Von wegen Cousine!
Eine unbändige Wut packte Sarah. Eberwein hatte sie nach Strich und Faden verarscht. Sie warf die Zeitschrift in die Ecke und pumpte Luft. Eine mögliche Liaison mit Eberwein hatte sie sowieso ad acta gelegt. Spätestens bei seinem herrischen Auftreten heute Abend war ihr klar geworden, dass Bastian Recht hatte. Eberwein benutzte sie für seine Zwecke. Er hatte seinen Charme eingesetzt, um sie zu einem lebensgefährlichen Abenteuer zu überreden. So weit okay, warum auch nicht?! Aber dass er sie angelogen hatte und seine Verlobte als Cousine ausgegeben hatte, das war zu viel. Das war unterste Schublade. Das war einfach unwürdig.
Wasser schoss ihr in die Augen. Ich werde jetzt nicht weinen, sagte sie sich. Nicht wegen dieser Demütigung. Und erst recht nicht wegen dieses Arschlochs.
66.
Die Sitzung bei Liebisch dauerte zwanzig Minuten. Der Kriminalrat fasste kurz die Ereignisse zusammen und rügte zwei seiner Männer für ihre Unachtsamkeit bei der Bewachung von Günther Wollweber. Er lobte Bastian für seine Hartnäckigkeit, letztendlich habe man es ihm zu verdanken, dass der Fleischmafia ein entscheidender, wenn nicht vernichtender Schlag versetzt werden konnte.
Nach der Sitzung bat Liebisch Bastian, noch einen Moment zu bleiben.
»Haben Sie es sich überlegt, ob Sie bei uns mitmachen? Ihr Engagement für Eberwein hat sich ja nun mit Wollwebers Tod erledigt.«
Bastian schüttelte den Kopf. »Ihre kleine, aber feine Truppe kommt sicherlich auch ohne mich klar.«
»Unsere Tür steht immer für Sie offen.«
Bastian kratzte sich am Kinn. »Eine Bitte hätte ich.«
»Nur zu!«
»Ich würde gern wieder in meiner alten Abteilung arbeiten. Ich glaube, dass ich meine Bewährungsprobe bestanden habe. Wenn Sie der gleichen Auffassung sind, könnten Sie mit den entsprechenden Stellen reden. Das Gleiche gilt auch für meine Kollegin.«
»Ich verliere Sie ungern, Bennecke«, meinte Liebisch. »Aber ich werde tun, was ich kann.«
»Danke!«
Bastian ging zur Tür.
»Moment noch!«
Er drehte sich zu Liebisch um. Der
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