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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Erleuchtung brachte. Er wußte, daß der Mord von Mittwoch abend den Endpunkt einer Kette von Handlungen bildete, deren Motor menschliche Leidenschaften wie Liebe und Haß, Gier und Eifersucht war. Dies war das Grundmuster. Bis hierher war alles einfach. Die Schwierigkeit bestand darin, die vielen einzelnen Informationen, die bereits zur Verfugung standen oder noch eintreffen würden, in ihrer Bedeutung einzuschätzen und – vergleichbar dem Zusammensetzen eines Puzzles – an der richtigen Stelle einzuordnen, so daß sich am Ende das Grundmuster, von dessen Existenz er fest überzeugt war, auch tatsächlich erkennen ließ. Er nickte ein. Beim Aufwachen erinnerte er sich nur bruchstückhaft. Er hatte von einer attraktiven Rothaarigen geträumt, die ihn an die Frau hinter der Bar im Black Prince erinnerte, und von einer blonden Schönheit mit blutverklebten Haaren. Es kam ihm so vor, als drehten sich seine Träume immer und ausschließlich um Frauen, und manchmal sann er darüber nach, wovon er wohl träumen würde, wenn er verheiratet wäre. Doch da ließ ihn seine Phantasie im Stich. Vermutlich immer noch von Frauen, dachte er.

Kapitel 6 – Samstag, 2. Oktober, vormittags
     
    »Ich frage mich bloß, was als nächstes kommt«, sagte Judith, Mr. Palmers Privatsekretärin. »Der Polizei unsere Post zu lesen geben!«
    »Du hättest ja nein sagen können«, entgegnete ihr Sandra, ein freundliches, wenn auch leider etwas chaotisches Mädchen. Sie war denn auch in den drei Jahren, die sie jetzt im Büro der Versicherung arbeitete, weder mit qualifizierterer Arbeit betraut worden, noch hatte man es für nötig gehalten, ihr Gehalt zu erhöhen.
    »Ich hab’s mir einen Moment lang echt überlegt«, flötete Ruth. Sie war nicht besonders intelligent und versuchte, auf sich aufmerksam zu machen, indem sie jeder ihrer Bemerkungen einen dramatischen Augenaufschlag folgen ließ. »Wenn Bob mir jetzt einen von seinen heißen Briefen geschickt hat …!« Sie kicherte nervös.
    Die Mehrzahl der Mädchen war um die Zwanzig, unverheiratet und lebte bei ihren Eltern. Da die Post erst im Laufe des Vormittags zugestellt wurde, wenn sie schon zur Arbeit waren, hatten viele von ihnen Freunde und Bekannte gebeten, ihre Briefe und Karten ans Büro zu adressieren, um ihren Eltern erst gar keine Möglichkeit zu geben, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie ihrer Meinung nach nichts angingen. Auf diese Weise waren derartig viele Briefe, die bei der Versicherung eintrafen, mit Vermerken wie Privat, Vertra u lich oder Persönlich versehen, daß ein Uneingeweihter zu dem Schluß hätte kommen können, Town and Gown figuriere als Deckadresse für einen Geheimdienst. Palmer sah über diese leicht mißbräuchliche Verwendung der Firmenadresse großzügig hinweg, hatte jedoch ein um so schärferes Auge auf die Telefonrechnung. Es war ein für beide Seiten befriedigendes Arrangement.
    Morses ruhiger, bestimmter Ton verfehlte bei keinem der Mädchen seine Wirkung, und so kamen sie seiner Bitte ohne Widerspruch nach. Selbstverständlich waren sie alle bereit zu helfen. Er sollte sowieso nur eine Kopie der Briefe und Karten bekommen, und der Inhalt würde mit äußerster Diskretion behandelt werden. Trotz dieser Zusicherung stieß Ruth einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie feststellte, daß Bobs täglicher Brief an sie heute ausnahmsweise einmal halbwegs anständig war. Der Inspector sah zwar noch gar nicht so alt aus, aber …
    »Ich finde, wir sollten alles tun, damit sie die Sache mit der armen Sylvia aufklären«, sagte Sandra. Ihre intellektuellen Fähigkeiten waren nicht besonders bemerkenswert, aber sie besaß sehr viel Mitgefühl, und der gewaltsame Tod ihrer Kollegin war ihr sehr nahegegangen und hatte sie auch ein wenig erschreckt. Sie wollte, wenn möglich, etwas zu den Ermittlungen beisteuern und war deshalb enttäuscht, daß gerade an diesem Tag kein Brief für sie dabei war, obwohl sie auch sonst nicht jeden Tag Post erhielt.
    Morse bekam sieben Briefe und zwei Postkarten ausgehändigt. Er überflog sie kurz, ehe er sie kopierte, und hatte plötzlich das Gefühl, sich lächerlich zu machen. Immerhin, es blieb die Gegenüberstellung, auf die er nach wie vor Hoffnungen setzte, obwohl auch hier seine anfänglich hochgeschraubten Erwartungen dem nüchternen Tageslicht nicht ganz hatten standhalten können.
    »Warst du schon einmal bei einer Gegenüberstellung?« fragte Sandra.
    »Wie denn wohl?« fragte Judith bissig zurück. »Ich

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