Der Letzte Bus Nach Woodstock
des Mordes aufgehalten haben. Reine Routine. Im Zuge einer Mordermittlung müssen wir immer derartige Nachforschungen anstellen.«
»Ja, natürlich. Ich habe mich gewundert, daß Sie das nicht gleich gemacht haben.« Das saß. Sie hatte recht, warum hatte er eigentlich bis jetzt damit gewartet? Jennifer schien gar nicht bemerkt zu haben, daß ihre Äußerung ihn getroffen hatte, und fuhr im selben Atemzug fort: »Am vergangenen Mittwoch bin ich später als sonst nach Hause gekommen. Ich war noch bei Blackwell, um mir dort ein Buch auszusuchen. Letzte Woche war mein Geburtstag, und ich hatte einen Büchergutschein geschenkt bekommen. Ich war, glaube ich, erst gegen sechs Uhr zu Hause. Ich bin im Berufsverkehr steckengeblieben. Sie wissen ja, wie das um die Zeit ist.« Morse nickte. »Ich habe dann etwas gegessen und mich dabei mit meinen beiden Mitbewohnerinnen unterhalten. So um halb sieben bin ich wieder gegangen. Gegen acht war ich zurück. Es kann auch ein bißchen nach acht gewesen sein.«
»Und was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?«
»Ich war in der Summertown-Bibliothek.«
»Wann wird dort geschlossen?«
»Um 19 Uhr 30.«
»Sie haben sich also ungefähr eine Stunde in der Bibliothek aufgehalten.«
»Nach Adam Riese, ja.«
»Eine Stunde erscheint mir ziemlich lang. Wenn ich mir Bücher hole, geht das immer wesentlich schneller.«
»Vielleicht sind Sie nicht so besonders wählerisch bei dem, was Sie lesen.«
Morse schluckte. Das stimmte. Jennifer nahm kein Blatt vor den Mund und konnte sich ausdrücken. Hat bestimmt eine gute Erziehung gehabt, dachte Morse. Aber es war mehr als das. Sie schien auch einen starken Willen zu haben und das Bedürfnis, sich zu behaupten. Ihm kam die Frage, wie wohl ihr Verhältnis zu Männern war. Sie war sicher keine Frau, die sich so ohne weiteres erobern lassen würde es sei denn, sie selbst verspürte den Wunsch danach. Morse konnte sich gut vorstellen, daß sie dann durchaus nicht mehr kühl und beherrscht war.
»Lesen Sie das gerade?«
Sie klopfte mit einer makellos manikürten Hand leicht auf den Buchrücken. »Ja, kennen Sie es?« Morse mußte verneinen.
»Sie sollten es sich in der Bibliothek besorgen.«
»Ich werde versuchen, das nächste Mal, wenn ich dort bin, daran zu denken«, murmelte er. Wer verhörte hier eigentlich wen? Er gab sich einen Ruck. »Also, Sie haben sich eine Stunde in der Bibliothek aufgehalten?«
»Wie ich Ihnen eben gerade gesagt habe.«
»Hat Sie irgendjemand dort gesehen?«
»Das ließ sich ja wohl kaum vermeiden.«
»Nein, natürlich nicht.« Morse wußte selbst nicht mehr so recht, worauf er eigentlich hinauswollte, hatte aber das unbestimmte Gefühl, das Thema sei noch nicht erledigt. »Haben Sie außer dem da«, er deutete auf das Buch über der Sessellehne, »noch etwas ausgeliehen?« Er fand, das war eine gute Frage.
»Ja.« Sie zeigte auf ein großformatiges Buch, das aufgeschlagen vor dem Fernseher auf dem Teppich lag. »Mary hat gerade angefangen, es zu lesen. Sie werden es sicher kennen.« Morse erhob sich von der Couch und ging hinüber, um es sich anzusehen. › Wer war Jack the Ri p per? ‹
»Hm.« Er kam sich wieder ertappt vor. »Ich muß leider zugeben, daß mir diese Darstellung des Falles nicht bekannt ist.«
Jennifer lächelte ihn plötzlich an. »Machen Sie sich nichts daraus, Inspector. Ich bin eben ein Bücherwurm, und außerdem habe ich bestimmt viel mehr freie Zeit als Sie.«
»Lassen Sie mich noch einmal einen Moment auf den vergangenen Mittwoch zurückkommen, Miss Coleby.« So leicht wollte Morse sich nicht ablenken lassen. »Sie sagten, Sie seien gegen acht wieder zurück gewesen.«
»Ja, so ungefähr. Es kann auch Viertel nach gewesen sein, vielleicht auch halb neun.«
»War jemand da, als Sie zurückkamen?«
»Sue war hier. Mary wollte sich einen Film ansehen. Ich glaube, › Der Schakal ‹ . Sie ist erst so gegen elf nach Hause gekommen.«
»Ich verstehe.«
»Soll ich Sue holen?«
»Nein, das ist nicht nötig.« Morse war sich nicht sicher, ob er mit diesen Fragen nicht nur seine Zeit verschwendete, aber er ließ nicht locker. »Wie lange geht man von hier bis zur Bibliothek?«
»Ungefähr zehn Minuten.«
»Aber Sie brauchten fast eine Stunde – wenn wir einmal annehmen, daß Sie vielleicht ja erst gegen halb neun wieder hier waren, wie Sie eben sagten.«
Wieder ein Lächeln, ebenmäßige weiße Zähne, eine Andeutung von amüsiertem Spott. »Inspector, ich denke, es ist besser,
Weitere Kostenlose Bücher