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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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auf einmal zu ahnen, welche unübersehbare Anzahl relevanter Momente er bis jetzt in seinem Denken ausgespart hatte. Er zog sich den Mantel über und ging zu seinem Auto. Während er die drei Kilometer nach Oxford fuhr, beschloß er, sich durch seine Voreingenommenheit gegenüber Jennifer Coleby nicht beeinflussen zu lassen. Er wußte jedoch, daß ihm dies schwerfallen würde. Schließlich gehörte Miss Coleby zu jenen drei Kolleginnen Sylvias, bei denen Mrs. Jarman nicht hatte ausschließen mögen, daß eine von ihnen diejenige war, die sie an dem fraglichen Mittwochabend mit Sylvia zusammen an der Bushaltestelle gesehen hatte.
    Jennifer Coleby wohnte mit zwei anderen Mädchen zusammen, die wie sie berufstätig waren. Jede von ihnen bezahlte für die Doppelhaushälfte, die sie gemietet hatten, wöchentlich 8 Pfund 25, Strom und Gas inklusive. Ihr Hauswirt machte dabei einen guten Schnitt, denn er hatte, als er vor sechs Jahren das Haus kaufte, nur die für heutige Verhältnisse lächerliche Summe von 6500 Pfund dafür bezahlt. Er war damals vorausschauend genug gewesen, gleich noch ein zweites Haus derselben Preisklasse zu erwerben. Die Mädchen fühlten sich gut bedient und waren gern bereit, für die alles in allem moderate Miete das enge gemeinsame Bad und das geradezu winzige Klo in Kauf zu nehmen. Jede der drei hatte ein eigenes Zimmer – eins lag im Erdgeschoß –, die Küche, die ihnen nur dazu diente, dort das Frühstück und Abendbrot einzunehmen, war für ihre Bedürfnisse groß genug, und dann gab es noch ein Wohnzimmer, das von allen gemeinsam benutzt wurde, wo sie sich trafen und miteinander redeten oder Fernsehen sahen. Ihr Zusammenleben verlief reibungslos, nur wegen des Badezimmers gab es hin und wieder Ärger.
    Tagsüber waren sie sowieso fast nie gleichzeitig da, und abends, nach einem langen Arbeitstag, legte keine von ihnen Wert auf Auseinandersetzungen. Der Hauswirt hatte Herrenbesuch auf den Zimmern untersagt, und die Mädchen hatten dies ohne Widerspruch hingenommen. Natürlich war das Verbot schon einige Male unterlaufen worden, doch im allgemeinen hielten sie sich daran, und die Übertretungen waren die Ausnahme. Sie waren übereingekommen, auf Plattenspieler zu verzichten, wofür ihnen nicht zuletzt die älteren Herrschaften im Nebenhaus zutiefst dankbar waren. Ein traurig aussehendes Mädchen mit einem Tomatenbrot in der Hand öffnete Morse die Tür. Er registrierte auf den ersten Blick, daß es drinnen sauber und ordentlich aussah.
    »Ich möchte zu Miss Coleby. Ist sie da?«
    Das Mädchen blickte ihn mit ihren dunklen, etwas schwermütigen Augen prüfend an, so daß Morse versucht war, ihr zuzuzwinkern.
    »Einen Moment.« Sie machte ohne Eile ein paar Schritte ins Innere des Hauses, wandte dann plötzlich den Kopf und fragte: »Und wer sind Sie?«
    »Äh – Morse. Chief Inspector Morse.«
    »Oh.«
    Jennifer erschien kühl und adrett in Jeans und Bluse an der Tür und begrüßte Morse ohne allzuviel Begeisterung.
    »Womit kann ich Ihnen helfen, Inspector?«
    »Hätten Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit? Ich hoffe, es paßt Ihnen?«
    »Muß es ja wohl, nehme ich an. Sie kommen besser herein.«
    Sie führte Morse ins Wohnzimmer, wo die Dunkeläugige von eben vor dem Fernsehschirm saß und so tat, als verfolge sie gebannt das Spiel Arsenal gegen Tottenham.
    »Sue, dies ist Inspector Morse. Hast du etwas dagegen, wenn wir uns hier unterhalten?« Sue erhob sich und stellte den Fernseher ab, was ihr, wie Morse bei sich feststellte, zu einem kleinen Auftritt geriet. Sie bewegte sich langsam und anmutig. Morse beobachtete sie und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie gefiel ihm. »Ich bin dann oben, Jen.« Ehe sie den Raum verließ, warf sie noch einen Blick zu Morse hinüber und sah das Lächeln um seine Mundwinkel. Hinterher behauptete sie gegenüber Jennifer, er habe ihr zugeblinzelt, sie habe es genau gesehen.
    Jennifer bat Morse, auf der Couch Platz zu nehmen, und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel.
    »Was wollen Sie von mir, Inspector?«
    Morse versuchte, den Titel eines Buches zu entziffern, das aufgeklappt, mit dem Rücken nach oben, über der Lehne ihres Sessels hing. Es war eine Ausgabe von Charlotte Brontës › Villette ‹ .
    »Ich bin dabei, alle Personen, die irgendwie … die mit Sylvia …«
    »Die verdächtig sind?«
    »Nein, nein, das nicht. Die mit Sylvia zusammengearbeitet haben. Wir befragen alle, die mit ihr zusammengearbeitet haben, wo sie sich am Abend

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