Der Letzte Bus Nach Woodstock
Abschnitt Sutherland Road heißt, und folgte ihr bis zum nächsten Kreisverkehr. Dort bog ich ab in Richtung Woodstock. Die Sonne war gerade untergegangen, und ich schaltete, wie die meisten anderen Autofahrer auch, das Standlicht ein. Das Fahren in der Dämmerung war anstrengend, aber für Abblend- oder Fernlicht war es noch zu hell. Ich bemerkte die Mädchen, unmittelbar nachdem ich den Kreisverkehr verlassen hatte, ein Stück die Straße hinauf in der Nähe der Selbstbedienungstankstelle. Eine der beiden war einen Schritt auf die Fahrbahn getreten, und ich konnte, während ich heranfuhr, feststellen, daß sie sehr attraktiv war. Sie hatte lange blonde Haare und trug einen kurzen Rock mit einer weißen Bluse. Ihren Mantel hatte sie über den Arm gelegt. Das andere Mädchen war einige Meter weit vorgelaufen und stand mit dem Rücken zu mir. Ich hatte den Eindruck, daß sie nicht unfroh darüber war, daß die Blonde es übernommen hatte, sich an die Straße zu stellen. Sie hatte dunkles Haar und war, wenn ich mich recht erinnere, ein paar Zentimeter größer als die andere.
Ich habe mir vorgenommen, möglichst ehrlich Ihnen gegenüber zu sein, und deshalb sollen Sie erfahren, daß ich des öfteren Phantasien habe, erotische Tagträume, die genau um die oben beschriebene Situation kreisen. Die Frau, die ich mitnehme, ist immer eine hinreißende Mischung aus Schönheit und Intelligenz, und der ersten zögernden gegenseitigen Annäherung folgt sehr schnell leidenschaftliche Hingabe. Aber das alles ist, wie ich noch einmal betonen möchte, nur ein Tagtraum, und ich erwähne ihn nur, um Ihnen den Hintergrund für meinen Entschluß, anzuhalten, deutlich zu machen. Ihnen dies zu offenbaren, ist mir nicht leichtgefallen, denn obwohl ich mir mit dem Verstand sage, daß man sich seiner Phantasien nicht zu schämen braucht, lösen sie doch bei mir nach wie vor Schuldgefühle aus.
Doch das nur nebenbei. Ich hielt an, öffnete die Tür zum Beifahrersitz und erklärte, ich führe nach Woodstock, und sie könnten, wenn sie wollten, mitfahren. Die Blonde reagierte mit dem Ausruf ›Oh, das ist ja toll!‹ Dann drehte sie sich zu der anderen um, sagte etwas wie ›Hab ich dir doch gleich gesagt‹ und setzte sich neben mich. Das dunkelhaarige Mädchen stieg hinten ein. Während der Fahrt wiederholte die Blonde ein paarmal, das sei ja wirklich Glück. Sie hatten offenbar den Bus verpaßt. Sie sprach wie eine typische Oxforderin. Ansonsten fand so gut wie keine Unterhaltung statt. Das Mädchen auf dem Rücksitz verhielt sich völlig unbeteiligt. Nur einmal fragte sie, wie spät es sei. Als links vor uns Blenheim Palace auftauchte, sagte ich, wir seien da, weiter könne ich sie leider nicht mitnehmen. Bevor ich abbog, ließ ich sie aussteigen. Ich habe nicht darauf geachtet, welche Richtung sie einschlugen. Ohne daß darüber gesprochen worden wäre, nahm ich jedoch an, daß sie zu einer Verabredung wollten.
Von meiner Seite aus gibt es mehr dazu nicht zu sagen. Ich habe versucht, Ihnen meine kurze Begegnung mit den beiden Mädchen so genau wie möglich zu schildern in der Annahme, daß jedes Detail für Sie von Interesse ist, da – wie ich inzwischen weiß – eines der Mädchen noch am selben Abend ermordet wurde.
Gerade habe ich das Geschriebene noch einmal durchgelesen und bin mir bewußt, daß meine Ausführungen wahrscheinlich nichts enthalten, was Ihnen entscheidend weiterhelfen könnte. Ich bin mir ferner bewußt, daß sie zu zwei Fragen Anlaß geben: erstens, was wollte ich an diesem Abend in Woodstock, und zweitens, warum habe ich mich nicht früher bei Ihnen gemeldet? Beide Fragen rühren an dasselbe Problem, und ich denke, daß ich mich sehr erleichtert fühlen werde, wenn ich sie Ihnen beantwortet habe. Ich vertaue allerdings darauf, daß sich ein Weg finden läßt, das, was ich Ihnen hier mitteile, mit absoluter Diskretion zu behandeln. Wenn auch nur andeutungsweise etwas davon an die Öffentlichkeit dränge, so würde das für mir nahestehende Personen, die mit der Sache nichts zu tun haben, mit Sicherheit großes Leid bedeuten.
Während der letzten sechs Monate hatte ich eine außereheliche Beziehung. Wir haben uns einmal in der Woche gesehen, und zwar jeweils am Mittwoch, weil da sowohl meine Frau als auch meine Kinder regelmäßig an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen und für einige Stunden außer Haus sind, so daß meine Abwesenheit nicht auffiel. An dem Mittwoch, um den es hier geht, war ich auf der Straße
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