Der Letzte Bus Nach Woodstock
Ihrer Frau und Ihrer Kinder?«
»Ja.«
»Sie hatten also immer nur eine Stunde Zeit, und das nur einmal in der Woche?«
»Etwas mehr als eine Stunde, aber nicht viel.«
»Und war diese Stunde die ganzen Komplikationen wirklich wert?«
»Mir ja. Zu der Zeit schon.«
»Sind Sie an dem Abend, nachdem Sie im Park waren, mit ihr noch im Black Prince gewesen?«
»Ich habe diesen Pub noch nie betreten.« Es klang sehr bestimmt.
Morse sah auf Crowthers Erklärung. Eine elegante, ausdrucksvolle Handschrift, die einen guten Eindruck von seinem Wesen vermittelte. Er stellte Crowther weitere Fragen, bis er nach einer halben Stunde, gegen vier, beschloß, es gut sein zu lassen. »Ich fürchte, Ihren Wagen werden Sie uns für ein paar Tage dalassen müssen.«
»Wenn es nicht anders geht.« Crowther schien damit nicht gerechnet zu haben.
»Leider nicht. Es besteht immer die Möglichkeit, daß wir etwas finden. Heutzutage reicht ja manchmal schon ein Haar. Die Analysetechnik ist mittlerweile so ausgefuchst, daß schon die kleinste Spur den Burschen im Labor oft weitreichende Rückschlüsse erlaubt. Manchmal kann ich es selbst kaum glauben.« Er stand auf und bat Crowther, ihm die Krücken herüberzureichen. »Eins kann ich Ihnen allerdings versprechen«, fuhr er fort, »wir werden versuchen, Ihre Frau aus allem herauszuhalten. Denken Sie sich etwas aus, was Sie ihr gleich erzählen können. Das dürfte Ihnen ja nicht allzu schwerfallen.«
Morse folgte Crowther, an seinen Krücken hüpfend, in die Eingangshalle und beauftragte den diensttuenden Sergeant, ein Polizeiauto zu besorgen. »Wenn Sie mir jetzt bitte die Schlüssel Ihres Morris geben würden, Mr. Crowther. Ich denke, Anfang der Woche können Sie ihn wieder bei uns abholen.« Draußen fuhr das Polizeiauto vor. Die beiden Männer verabschiedeten sich mit einem Händedruck voneinander, und Crowther ging hinaus. Morse sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. War er richtig mit ihm umgegangen? Er glaubte eigentlich schon. Aber bevor er ein abschließendes Urteil fällte, mußte er erst noch einmal in Ruhe über alles nachdenken. Eigenartig, daß Crowther sich so dezidiert über die Beine von Sylvia Kayes Begleiterin geäußert hatte. Mrs. Jarman hatte doch ausgesagt, sie habe Hosen getragen … Morse ließ sich von zwei Constables zu Crowthers Wagen helfen. Keine der Türen war abgeschlossen. Er mühte sich mit zusammengebissenen Zähnen auf den Beifahrersitz, lehnte sich dann aufatmend zurück und versuchte, seine Beine unterzubringen, wobei er sorgfältig darauf achtete, mit dem rechten Fuß nirgends anzustoßen. Er schloß die Augen und stellte sich vor, wie Sylvia Kaye hier gesessen haben mochte: genüßlich hingeräkelt, die langen, gebräunten Beine von sich gestreckt, der Minirock hochgerutscht. »Minirock …« Er mußte laut gedacht haben, denn der Sergeant, der ihm beim Einsteigen behilflich gewesen war, beugte sich zu ihm herunter und erkundigte sich höflich durch das Wagenfenster: »Sagten Sie etwas, Sir?«
Das Studio 2 in der Walton Street zeigte wie immer samstags ein Doppelprogramm mit zwei Pornofilmen. Heute sollte als erstes – von 14 bis 15 Uhr – › Import aus Dän e mark ‹ laufen, wobei es, den ausgestellten Bildern nach zu urteilen, weniger um Käse und Milch, als vielmehr um nacktes Fleisch zu gehen schien. Der zweite Film – von 15 Uhr 20 bis 17 Uhr – trug den Titel › Heiße Höschen ‹ und hatte sich in der vergangenen Woche beim – vorwiegend männlichen – Publikum außerordentlich großer Beliebtheit erfreut.
Gegen 17 Uhr verließen die Besucher mit undurchdringlichen Mienen den Kinosaal, während sich im Foyer bereits die Besucher für die nächste Vorstellung einfanden. Einer von ihnen wäre normalerweise schon um 14 Uhr erschienen, um sich das Doppelprogramm gleich zweimal hintereinander anzusehen, doch war ihm dies heute nicht möglich gewesen. Chalkley & Söhne hatte ihn zu Überstunden dabehalten. Vielleicht gar nicht mal schade drum, dachte er. Die Filme hielten sowieso nie, was er sich von ihnen erwartete, beziehungsweise, was in den Trailern versprochen wurde.
Bei Gelegenheiten wie dieser nahm er seine Umgebung fast nicht wahr. So entging es ihm, daß nur wenig mehr als einen Meter entfernt, mit dem Rücken zu ihm, der Sergeant stand, mit dem er vor nicht ganz zwei Wochen, am Abend des Mordes, im Black Prince zu tun gehabt hatte. Während Lewis vorgab, interessiert die Programmtafel zu studieren, dachte er, daß
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