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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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war er nicht der Typ – viel zu sanftmütig und ausgeglichen. Sie hätte gar nichts dagegen, wenn er manchmal ein bißchen Eifersucht zeigen würde – fast vermißte sie es ein bißchen, aber dies Gefühl schien ihm völlig fremd zu sein. Es wäre ihr sonst bestimmt nicht verborgen geblieben, dafür kannte sie es bei sich selbst viel zu gut. Sie dachte an Morse. Zu Beginn des Abends hatte sie ihn nicht gerade nett behandelt, wie sie mit Dr. Eyres getanzt hatte … Er war blaß gewesen vor Eifersucht und sicher auch schrecklich wütend. Es hatte ihr Vergnügen bereitet zu sehen, daß es ihm so viel ausmachte, aber dann … Sie hatte sich doch vorgenommen, nicht mehr an ihn zu denken! Er ging sie ja auch gar nichts an. Sie verstand selbst nicht, warum sie Mittwoch nacht plötzlich so verzweifelt gewesen war. Hoffentlich hatte er ihr geglaubt, als sie ihm beim Abschied gesagt hatte, daß sie sich in den Schlaf weinen würde. Es war die Wahrheit. Jetzt beschäftigte sie sich schon wieder mit ihm! Da wollte sie über sich und ihre Beziehung zu David nachdenken und landete bei Morse. Für ihn war das Ganze bestimmt nicht mehr als eine angenehme Episode gewesen. Sie mußte sich immer klarmachen, daß David der Mann war, der sie liebte! Wenn sie ihn heiratete, würde sie wissen, wohin sie gehörte. Heirat. Ein wichtiger Schritt, den sie am liebsten noch hinausgeschoben hätte, aber sie war schon 23 … Ob Morse vielleicht doch noch ab und zu in Gedanken bei ihr war? Sie sollte endlich aufhören, darüber nachzugrübeln, sie quälte sich nur selbst.
    Als sie in die Charlton Road einbog, sah sie seinen Lancia vor der Tür stehen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie war einen Moment lang ganz atemlos vor Freude. Sie schloß auf und ging geradewegs ins Wohnzimmer. Er saß auf dem Sofa und unterhielt sich mit Mary. Bei ihrem Eintreten stand er auf.
    »Guten Abend.«
    »Guten Abend«, erwiderte sie leise.
    »Ich wollte eigentlich zu Miss Coleby, aber wie ich eben erfahren habe, wird sie erst im Laufe des Abends zurückkommen. Mary war so liebenswürdig, mir Gesellschaft zu leisten.«
    War er etwa auf Marys Tour hereingefallen? So pummelig und sommersprossig wie sie war, hatte sie immer schon gewußt, wie man Männer um den Finger wickelte. Sie war da völlig schamlos. Warum machte sie nicht, daß sie wegkam? Sie mußte doch merken, daß sie störte. Mary, bitte, ich flehe dich an. Laß uns allein! Doch Mary schien jede Minute des Gesprächs mit dem Inspector auszukosten, sie lachte aufgekratzt und machte keine Anstalten, das Feld zu räumen. Sue, noch in ihrem hellen Sommermantel, saß auf der Sessellehne und versuchte, der Welle von Eifersucht und blinder Wut, die sie zu überschwemmen drohte, Herr zu werden.
    Sie hörte sich mit erzwungener Ruhe sagen: »Jennifer wird vermutlich den Zug um Viertel nach acht nehmen. Dann müßte sie so gegen zehn hier sein.« Noch zwei Stunden. Zwei ganze Stunden. Wenn Mary bloß endlich verschwinden würde … Vielleicht würde er sie dann fragen, ob sie etwas mit ihm trinken gehen wolle, und sie würde neben ihm sitzen, und sie könnten miteinander reden. Sie konnte es nicht länger ertragen, gleich würde sie in Tränen ausbrechen. Unvermittelt sprang sie auf und war mit zwei großen Schritten bei der Tür. Er erhob sich, als sie das Zimmer verließ, und bedankte sich bei Mary für ihre Freundlichkeit. Mary begleitete ihn hinaus. An der Haustür drehte er sich um. Ob sie wohl Sue bitten könne, noch einen Moment herunterzukommen? Ihm sei gerade eingefallen, daß es noch etwas zu besprechen gebe. Mary ging nach oben, um Sue Bescheid zu sagen. Morse machte ein paar Schritte in den Vorgarten und wartete. Sue erschien und blieb zögernd in der Haustür stehen.
    »Wollten Sie noch etwas, Inspector?«
    »In welchem Zimmer schläfst du, Sue?« Sie kam heraus und stellte sich dicht neben ihn. Sie zeigte hinauf zu dem Fenster direkt über der Haustür und streifte ihn dabei mit ihrem Arm. »Dort«, sagte sie. Morse verspürte auf einmal einen stechenden Schmerz hinter dem linken Auge. Er war ein eher zierlicher Mann, und in den hochhackigen Schuhen, die sie trug, war sie fast gleich groß. Sie ließ den Arm sinken, und einen wundervollen Augenblick lang trafen sich ihre Hände zu einer kurzen Berührung, und es durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Zieh deine Hand nicht weg, Sue! Er streichelte mit der Spitze seines Zeigefingers vorsichtig ihr Handgelenk.
    »Wozu wollen Sie das wissen?«

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