Der Letzte Bus Nach Woodstock
wünschen, Sir. Auf Wiederhören.«
»Na schön«, sagte Morse. »Jetzt wissen wir wenigstens Bescheid. Alle unsere Vögel sind also ausgeflogen. Hat eigentlich wenig Sinn, daß wir dann noch hierbleiben, was, Lewis?« Das fand der Sergeant auch. »Lassen Sie uns nur vorher noch schnell die Unterlagen wegräumen«, sagte Morse, »das sieht ja hier aus!«
Lewis begann, auf seiner Seite des Schreibtisches alles zusammenzuschieben, die Tatortskizzen, auf denen der Fundort jedes Gegenstandes, den man im Hof des Black Prince sichergestellt hatte, säuberlich markiert war, und die Aufnahmen von der Toten. Hatte er sie, so wie sie da lag, wirklich einmal aufreizend gefunden? Jetzt erschien sie ihm nur noch schutzlos und ausgesetzt. »Wenn wir den Kerl nur schon hätten«, murmelte er.
»Was haben Sie gesagt?«
Lewis zeigte auf die Fotos. »Das muß doch ein Monster sein! Ihr so die Bluse zu zerfetzen und sie dann einfach liegenzulassen, allen Blicken preisgegeben. Ich wünschte, wir würden bald herausfinden, wer das getan hat.«
»Aber das wissen wir doch längst«, sagte Morse.
Lewis sah ihn ungläubig und verletzt an. »Das heißt, Sie wissen es?«
Morse nickte und legte die Fotos in die Akte.
Teil drei
Der Mörder wird gesucht
Kapitel 22 – Samstag, 17. Oktober
Am Samstagabend gegen sieben brachte Sue David zum Zug nach Birmingham, Sie sagte ihm noch einmal wie sehr ihr das Wochenende mit ihm gefallen habe, und das entsprach auch durchaus der Wahrheit. Am Samstag hatten sie sich einen Film angesehen und waren anschließend chinesisch essen gegangen. Sie hatten es genossen, wieder einmal zusammenzusein. Den Sonntag hatten sie bei Davids Eltern in Headington verbracht. Sue wurde dort stets mit offenen Armen aufgenommen. Davids Vater und seine Mutter erinnerten sich, obwohl sie nun schon über dreißig Jahre verheiratet waren, noch sehr gut an ihre eigene Brautzeit und hatten sich nach dem Mittagessen taktvoll zurückgezogen. Im Herbst nächsten Jahres, wenn David die Forschungen für seine Doktorarbeit an der Universität Warwick beendet hätte, wollten Sue und er heiraten. Er hoffte auf eine Stelle an der Universität. Schließlich hatte er sein Examen in Metallhüttenkunde mit Auszeichnung bestanden. Sue bestärkte ihn in seinen Plänen. Es war ihr lieber, wenn er die Universitätskarriere einschlug, als daß er in die Industrie ginge – wenn er sich schon so ein merkwürdiges Fach ausgesucht hatte. Das war eigentlich das einzige, was sie wirklich an ihm störte, es hing wohl mit ihrer eigenen Schulzeit zusammen. Sie hatten im Werkunterricht viel mit Metall gearbeitet, und sie hatte alles, was damit zu tun hatte, immer gehaßt: den Geruch in der Lehrwerkstatt und ganz besonders die winzigen Feilspäne, die sich in den Poren der Hände festsetzten, so daß sie noch tagelang schmutzig aussahen. Da konnte man sie schrubben, soviel man wollte.
Der Zug hatte einige Minuten Aufenthalt, und David beugte sich aus dem Fenster eines leeren Abteils, um sie zu küssen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hob ihm ihr Gesicht entgegen.
»Es war gut, mit dir zusammenzusein, mein Liebling«, sagte er. Sie sah ihn an und nickte. »Fandest du das Wochenende auch so schön?«
»Aber ja.« Sie lachte fröhlich. »Da brauchst du doch nicht zu fragen!«
David lächelte. »Ich möchte es aber von dir hören.« Ihre Lippen fanden sich zu einem langen Kuß. Der Zug setzte sich in Bewegung, und Sue lief noch einige Schritte neben ihm her.
»Bis in vierzehn Tagen. Und vergiß nicht zu schreiben.«
»Bestimmt nicht.« Sie blieb stehen und winkte, bis die roten Schlußlichter in der Dämmerung verschwunden waren. Langsam stieg sie die Treppen des Bahnsteigs hinunter, ging durch die Unterführung hindurch und auf der anderen Seite wieder nach oben. An der Sperre gab sie ihre Bahnsteigkarte ab und lief zur Bushaltestelle an der großen Kreuzung High Street-Cornmarket Street. Sie mußte eine halbe Stunde warten, und es war schon acht, als sie schließlich in Nord-Oxford ankam. Nachdenklich, mit gesenktem Kopf ging sie die Banbury Road entlang. Sie hatte David gegenüber den Mittwochabend nicht erwähnt. Es war ja auch schließlich nichts weiter vorgefallen, außer, daß sie ein bißchen schwach geworden war. Sie hatten sich umarmt und geküßt – mehr nicht. So etwas konnte passieren, selbst wenn man verlobt war. Aber manche Dinge behielt man besser für sich. Nicht, daß David ihr eine Szene gemacht hätte. Dazu
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