Der letzte Coyote
Sie? Sehen Sie mich an. Wovon reden Sie?«
Conklin drehte seinen Kopf auf einem Hals, der nicht dicker war als ein Wasserglas. Er sah Bosch an und nickte ernst.
»Sie müssen wissen, wir hatten an dem Abend Pläne gemacht – Marjorie und ich. Ich hatte alle Vernunft in den Wind geschlagen und mich in sie verliebt. Wir hatten beschlossen zu heiraten und wollten dich aus dem Heim holen. An dem Abend machten wir viele Pläne. Wir waren so glücklich, daß wir weinten. Der nächste Tag war ein Samstag. Ich wollte mit ihr nach Las Vegas. Mit dem Auto die Nacht durchfahren, bevor wir unsere Meinung ändern konnten, oder jemand anders uns unsere Pläne ausreden würde. Sie stimmte zu und ging nach Hause, um ein paar Sachen zu packen … Sie kam nie zurück.«
»Das ist Ihre Geschichte? Erwarten Sie …«
»Nachdem Sie ging, machte ich einen Anruf. Und das besiegelte ihr Schicksal. Ich rief meinen besten Freund an, um ihm die gute Nachricht mitzuteilen, und bat ihn, mein Trauzeuge zu sein. Er sollte mit uns nach Las Vegas kommen. Wissen Sie, was er sagte? Er lehnte es ab. Er sagte, falls ich diese … Frau heiratete, wäre ich erledigt. Er sagte, er würde das nicht zulassen. Er hätte große Pläne für mich.«
»Gordon Mittel.«
Conklin nickte traurig.
»Sie sagen also, Mittel brachte sie um? Sie wußten es nicht?«
»Ich wußte es nicht.«
Er schaute auf seine zerbrechlichen Hände und ballte sie auf der Decke zu winzigen Fäusten zusammen. Sie wirkten kraftlos. Bosch betrachtete ihn stumm.
»Ich bin viele Jahre lang nicht darauf gekommen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß er es getan hatte. Und ich muß zugeben, daß ich damals an mich dachte. Ich war ein Feigling. Mir ging es nur darum, nicht hineingezogen zu werden.«
Bosch konnte ihm nicht ganz folgen. Conklin schien jedoch gar nicht mit ihm zu sprechen. In Wirklichkeit erzählte er sich selbst die Geschichte. Plötzlich riß er sich jedoch von seinen Erinnerungen los und sah Bosch an.
»Ich wußte, daß Sie eines Tages kommen würden.«
»Wieso?«
»Weil ich wußte, daß es Ihnen am Herzen liegen mußte. Vielleicht sonst niemandem, aber Ihnen. Sie waren ihr Sohn.«
»Erzählen Sie mir, was an dem Abend passierte. Alles.«
»Ich brauche etwas Wasser für meine Kehle. Auf der Kommode steht ein Glas. Der Trinkbrunnen ist auf dem Korridor. Lassen Sie das Wasser nicht so lange laufen. Es wird kalt, und meine Zähne tun dann weh.«
Bosch schaute zum Glas und dann wieder zu Conklin. Auf einmal hatte er Angst, daß der alte Mann sterben und seine Geschichte mit ins Grab nehmen könnte, wenn er das Zimmer auch nur für eine Minute verlassen würde.
»Gehen Sie. Ich bin in Ordnung. Ich werde Ihnen sicher nicht weglaufen.«
Bosch warf einen Blick auf den Notknopf. Wieder erriet Conklin seine Gedanken.
»Nach dem, was ich getan habe, bin ich der Hölle näher als dem Himmel. Weil ich geschwiegen habe. Ich muß es endlich jemandem erzählen. Ich glaube, Sie sind ein besserer Beichtvater als irgendein Priester.«
Als Bosch mit dem Glas auf den Korridor trat, sah er einen Mann um die Ecke des Flurs verschwinden. Er glaubte, daß der Mann einen Anzug getragen hatte. Der Wachmann war es nicht gewesen. Er fand den Trinkbrunnen und füllte das Glas. Conklin lächelte schwach, als er es ihm brachte, und murmelte ein Dankeschön, bevor er trank. Bosch nahm das Glas wieder an und stellte es auf den Nachttisch.
»Okay«, sagte Bosch. »Sie sagten, sie ging in der Nacht und kam nicht wieder zurück. Wie fanden Sie heraus, was passiert war?«
»Am nächsten Morgen fürchtete ich, daß etwas passiert war. Schließlich rief ich mein Büro an und ließ mir die Polizeiberichte der vorhergehenden Nacht durchgeben. Unter anderem war ein Mord in Hollywood geschehen. Man kannte den Namen des Opfers. Es war ihr Name. Das war der schrecklichste Tag in meinem Leben.«
»Was passierte als Nächstes?«
Conklin rieb sich die Stirn mit einer Hand und fuhr fort.
»Ich erfuhr, daß man sie morgens gefunden hatte. Sie … Es war ein Schock für mich. Ich konnte nicht glauben, was passiert war. Mittel hörte sich für mich um, aber es kam nichts dabei heraus. Dann rief der Mann, der mir Marjorie … vorgestellt hatte, an.«
»Johnny Fox.«
»Ja. Er rief an und sagte, er habe gehört, daß die Polizei nach ihm suche. Er sei unschuldig. Er drohte mir. Wenn ich ihn nicht beschützen würde, würde er der Polizei sagen, daß Marjorie mit mir an dem Abend zusammengewesen
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