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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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mit sich anfangen sollte, und ließ die Zeit verstreichen. Er begann über sein Gespräch mit Mittel nachzudenken – was gesagt wurde, was gemeint war. Es gab irgend etwas, das ihm keine Ruhe ließ.
    Seine Gedanken wurden von einem piepsenden Geräusch unterbrochen, das von einer Seite des Betts kam. Er entdeckte, daß es das Telefon war.
    »Hallo?«
    »Harry?«
    »Ja.«
    »Hier Jazz. Geht es dir gut?«
    Bosch schwieg. Er war sich nicht sicher, ob er bereit war, mit ihr zu sprechen. Aber es ließ sich jetzt nicht mehr vermeiden.
    »Harry?«
    »Ja, es geht mir gut. Wie hast du mich gefunden?«
    »Der Mann, der mich gestern angerufen hat. Irving oder so. Er …«
    »Chief Irving.«
    »Ja. Er rief mich an und sagte mir, daß du verletzt bist. Von ihm habe ich die Nummer.«
    Bosch war nicht gerade erfreut darüber, ließ es sich jedoch nicht anmerken.
    »Mir geht’s gut, aber ich mag eigentlich nicht darüber sprechen.«
    »Was ist passiert?«
    »Es ist eine lange Geschichte, und im Augenblick habe ich keine Lust, sie noch mal durchzukauen.«
    Jetzt schwieg sie. Es war eine dieser Situationen, wo beide Gesprächspartner versuchen, das Schweigen zu interpretieren und herauszubekommen, was mit dem Nichtgesagten gemeint ist.
    »Du weißt es, nicht wahr?«
    »Warum hast du es mir nicht gesagt?«
    »Ich …«
    Wieder Schweigen.
    »Willst du, daß ich es dir jetzt erzähle?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Was hat er dir gesagt?«
    »Wer?«
    »Irving.«
    »Er war es nicht. Er weiß nichts. Es war jemand anders. Jemand, der mir weh tun wollte.«
    »Es ist lange her, Harry. Ich möchte dir erzählen, was passiert ist … aber nicht am Telefon.«
    Er schloß die Augen und dachte eine Minute nach. Ihre Stimme erinnerte ihn daran, wie stark die Anziehung zwischen ihnen war. Er fragte sich jedoch, ob er sich darauf einlassen wollte.
    »Ich weiß nicht, Jazz. Ich muß darüber nachdenken.«
    »Was hätte ich denn tun sollen? Ein Schild um den Hals tragen, um dich gleich zu warnen? Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt gewesen? Nach der ersten Limonade? Hätte ich sagen sollen: ›Ach übrigens, vor sechs Jahren habe ich den Mann umgebracht, mit dem ich zusammenlebte, nachdem er mich zum zweitenmal in einer Nacht vergewaltigen wollte.‹?«
    »Jazz, bitte …«
    »Bitte was? Die Cops haben mir damals nicht geglaubt, warum hättest du mir glauben sollen?«
    Er merkte, daß sie weinte. Obwohl sie es unterdrückte, damit er nichts hörte. Aber es war an ihrer Stimme zu hören, die voller Einsamkeit und Schmerz war.
    »Du hast mir Sachen gesagt«, sagte sie. »Ich dachte …«
    »Jazz, wir haben ein Wochenende miteinander verbracht. Du machst zuviel …«
    »Tu das nur ja nicht! Sag mir nicht, es hätte dir nichts bedeutet.«
    »Du hast recht. Entschuldige … Hör zu, jetzt ist nicht der richtige Augenblick. Ich habe zuviel um die Ohren. Am besten ich rufe zurück …«
    Sie sagte nichts.
    »Okay?«
    »Okay, Harry. Ruf mich an.«
    »Okay. Good bye, Jazz.«
    Er legte auf und schloß eine Weile die Augen. Seine Hoffnungen waren enttäuscht worden, und er fühlte sich taub und gefühllos. Er fragte sich, ob er je wieder mit ihr sprechen würde. Beim Analysieren seiner Gedanken merkte er, wie ähnlich sie sich zu sein schienen. Seine Furcht hatte nichts mit dem zu tun, was sie getan hatte – wie immer es auch genau gewesen sein mochte. Er fürchtete sich davor, sie anzurufen und sich an eine Person zu binden, die noch mehr seelisches Gepäck mit sich herumschleppte als er.
    Er öffnete die Augen und versuchte seine Gedanken zu verscheuchen. Aber sie kehrten zu ihr zurück. Er wunderte sich über den Zufall ihres Zusammentreffens. Eine Immobilienanzeige. Genausogut hätte es eine Kontaktanzeige sein können: Ledig, weiß, weiblicher Killer, sucht männliches Gegenstück. Er mußte laut lachen, aber es war nicht wirklich komisch.
    Er stellte das Fernsehen an, um sich abzulenken. Es gab eine Talk-Show. Der Moderator interviewte Frauen, die ihrer besten Freundin den Mann ausgespannt hatten. Die Freundinnen waren ebenfalls anwesend, und jede Frage provozierte hysterischen Streit. Bosch stellte den Ton ab und beobachtete zehn Minuten lang, wie sich die Gesichter der Frauen vor Wut verzerrten.
    Nach einer Weile schaltete er den Fernseher wieder aus und rief im Schwesternzimmer an, um sich nach seinen Corn-flakes zu erkundigen. Die Krankenschwester, mit der er sprach, wußte nichts von seiner Bitte. Er versuchte wieder, Meredith Roman zu erreichen

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